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"das wort ist ein geschichtenbüro" erik, 4

Tante Trafante. Tagebuchstaben 73

  • Autorenbild: Andrea Karimé
    Andrea Karimé
  • vor 3 Tagen
  • 4 Min. Lesezeit

(Hier schreibe ich nahezu täglich ein Notat und veröffentliche mehrere wöchentlich (respektive zweiwöchentlich) als Blogartikel namens #tagebuchstaben. Biografisch, unsystematisch und poetisch. Vom Schreiben und Leben. Vom Arbeiten als Kinderbuchautorin (of Color) und Dichterin. Am Ende jeder Woche findest du ein Montagsgedicht.)

Andrea Karimé und Manu Ritz

In dieser Woche vermischen die Tagebuchstaben

Blicke und Laute, senden Krähen-Telegramme und schimmern nach Tempelstimme. Außerdem nimmt Manu Ritz ein Hörbuch aus meiner Geschichte auf, und ich fahre nach Leipzig, lasse dort die fröhlichen Rufe von vielsprachigen Kindern aus Plattenbaukolossen in mein Herzzimmer, wo sie noch immer flimmern. Mein Vademecum aka inspirierende Begleitung ist das Master-Piece von Doğan Akhanlı, in dem ich mich auf Vergnüglichste verirre. Am Ende lächelt euch das Montagsgedicht "tante trafante" zu.


Sprecherin Manu Ritz legt den Arm um Autorin Andrea Karimé, die ein Buch hält.
Highlight der Woche. ManuEla Ritz spricht mein Buch ein, und ich spreche zwei Mini-Gastrollen: Lama und Papagei

Dienstag, der 3.6.25 (Funkeln)

„Ich schrieb meine Geschichte neu und las zugleich meine ungeschriebene Geschichte", Doğan Akhanlı.


Ready for travelling with Deutsche Bahn. Lese meine ungeschriebene Geschichte. Minute für Minute. Schreibe nichts. Fahre nach Leipzig über Köln-Niehl, wo ich vorher drei Lesungen mache („Wann kommst du wieder, Frau Karimé?“ Schönster Reiseproviant.)  Die Frühsonne enthüllt meine Fensterputzfaulheit. Geschriebenes. Das Wetter kennt meine Geschichte.

ManuEla Ritz auf dem Balkon ihres Hotels.
ManuEla Ritz auf dem Balkon ihres Hotels.

Freitag, der 6.6.25 (Leipzig)

So schön wars im erdig-schönen Leipzig. Auf Einladung

vom Jungen Literaturbüro Leipzig – auf Empfehlung meiner phänomenalen Kolleginnen Katharina Bendixen und Gerda Raidt – las ich in Grünau-Mitte, inmitten einer Plattenbausiedlung, an der Salzstraße ohne Autos. Nachdem ich kurz vom Büchermachen erzählt habe, -„Wie kriegst du das Feste drumherum?“ hab ich die Sprachen eingeladen. „Du sollst jetzt was Polnisches sagen!“ Herausgeschlüpft sind: Arabisch, Farsi, Französisch, Russisch, Polnisch, Slowakisch und Italienisch. Mit dem Vogel Kusch haben wir dann beinahe das Meer ausgetrunken – Aus Gründen. „Das Meer war sehr gemein!“ Dann kam Minu und zeigte uns den zauberhaften Garten von Oma. „Nudelblumen“, „Dönerblumen“. Zwischendurch wurde geflüstert (Wiese) und gepfiffen, gesungen und geschnipst. Am Ende haben die Kinder wie M

inu Herzenswünsche den Schirminen mitgegeben. In allen Sprachen. Ich verschenkte zwei Wörter zum Buch: Kusch und Tschai in Stempelform. Wörter zum Mitnehmen, natürlich mein Sprachhaus in Kartenform und Gerda Raidt betreute die Kigonki-Station am Schluss, herzlichen Dank. 45 quirlige Erstklässler*innen warmherzige Lehrer*innen und Bibliothekarin und Minu und der Geheimnismann. Da nimmt jedes Kind ein Stück Sprach/Klang mit. Hier mehr lesen!

 

Autogrammkarte von Andrea Karimé
Neue Autogrammkarte unter Verwendung einer Illustration von Irem Kurt.

Samstag, der 7.6.25 (Laute)

Ich gehe einkaufen. Auf der Venloer Straße Ecke Kaufland stoppt mich ein Geräusch von oben kommend. Ich gehe rückwärts drehe den Kopf, werfe einen Blick im selben Moment in eine Baumkrone, wie eine andere Frau. Zwei Blicke werden in eine Baumkrone geworfen, mehrere Laute fallen von der Baumkrone runter. Aus den Schnäbeln zweier Krähen. Blick und Laut treffen sich. Geht däss? Blicke und Laute werden zu Lautblicken oder Blicklauten. Wie hört sich der Blick an? Wie sieht der Laut aus? Laute Blicke und Fragen wandern in meinen Einkaufsrucksack. Unbekannte Frau und ich lachen. Liegt hier eine der Antworten?

Drei Frauen
Was auch noch war: Bibliothekarin Genta und Kollegin Kathrin getroffen

Montag, der 9.6.25 (Tempelstimme)

Heute fahre ich nach Siegburg, um mit Manu Ritz ein bisschen Hörbuch "Sterne im Kopf und ein unglaublicher Plan" aufzunehmen. Ich spiele Lama und Papagei, alles andere macht Manu mit ihrer phänomenalen Tempel-Stimme. Nach 20 Jahren sehen wir uns wieder. Damals lernten wir uns bei einer „Interkulturellen“ Schreibwerkstatt kennen, die eine weiße Autorin aus Bonn leitete. Noch heute vibrieren unsere Köpfe vom damaligen Schütteln. Kolonial geprägt und gut gemeint war die Werkstatt, die ein Silver-Lining hatte: Ich hab Manu kennengelernt und mich mit ihr angefreundet. Als Kaugummi und Verflixungen rauskam, schrieb die kritische Manu mir trocken: „Du scheinst ja intuitiv vieles richtigzumachen.“ Als sie nach Berlin ging, verloren wir uns aus den Augen. Mittlerweile ist Manu Schauspielerin, Antiadultismus-Trainerin, Sprecherin alias Tempelvoice und einiges mehr.  Ihr Buch kann ich nur wärmstens empfehlen. ManuEla Ritz – UNRAST VERLAG


Mittwoch, der 11.6.25 (Gül)

Wer glaubt schon etwas, das aufgeschrieben wird, bevor es passiert?, fragt mein wundervoller zerstreuter Protagonist, der, ohne es zu wissen, den schon ein Jahr zurückliegenden Tod seiner Schildkröte und Lebensbegleiterin betrauert. Doğan Akhanlı schreibt: „Würde sich jemand finden, der an eine Begebenheit glaubt, die niedergeschrieben wurde, bevor sie sich ereignete?“

Diesen Zufall, ich lese gerade „Madonnas letzter Traum“ während ich Nuris Geschichte aufschreibe, wird niemand glauben. Jede*r würde mir abkupfern unterstellen. Da Lesen und Schreiben sich in meinem Kopftopf mit vielen anderen Eindrücken vermischen, weiß ich am eigentlich auch nicht genau, was sich und wann dort abgespielt hat.

Also ich schreibe gerade, was N., denkt, über sich, über die Welt.  

„Berlin ist eine Stadt, deren Straßen im Unendlichen enden“, schreibt Doğan und sein Buch, "Madonnas letzter Traum", ein Ort der im Unendlichen endet. Und im Unendlichen beginnt. Der Zeiten und Räume ineinanderfließen lässt. In dem man sich vergnüglich verirren muss. Und es ist  damit perfekte Schreibbegleitung für meinen Roman über einen Jungen, dessen Welt aus den Fugen gerät. Über ein Mädchen namens Meereslöffel und eine Dichterin namens Gül Yabancı. (Wer Semra Ertan gelesen hat, (oder Türkisch kann) weiß was Yabancı heißt und STAUNt vielleicht jetzt. Evet, tamam.)


Karteikarten mit Wörtern aus anderen Sorachen von Kindern geschrieben
Wortgeschenke von Kindern aus Aarau, wo ich vor zwei Wochen war.

 

Ahmet Özdemir, Kathrin Schrocke und Andrea Karimé
Was auch noch war: Kollege Ahmet Özdemir wurde 50. Es regnete Hunde und Katzen.

Freitag, der 13.6.25  (achteinhalb)

Lesungen in Münster. Ich gehe um 5 Uhr 45 aus dem Haus. Zurück um 14 Uhr 15. Also achteinhalb Stunden um 2 Schullesungen zum Schullesungstarif zu veranstalten. Aber es lohnt sich, wie immer, auf vielen Ebenen. Ich wundere mich, dass ich es immer noch so gern mach, noch immer Rosinen mitnehme. 4x Klasse 2 kurz vor 3 mit der Geschichte „Kalim Baba und die Wörterlampe“. Es ist die Kribbeligkeit vor den Ferien in den Kindern, die ich so gut aus meinem Lehrerinnendasein kenne. Aber es gibt auch viele ruhige sehr gespannte Momente. Anwesende Sprachen: viele!  Türkisch, Arabisch, Kurmancî, Tigrinya, Russisch, Französisch, Deutsch, Urdu, Lettisch uam. Meine Rosinen heute:

Türkischsprechender Junge erklärt: „In deinem Buch sind alle Sprachen drin, auch die Neuen!“ Arabischsprechendes Mädchen nach der Lesung: „Können wir die Geschichte noch mal hören?“ Anderes Mädchen nach der Lesung: „Kannst du das nächste Mal Urdu machen?“ "Mutafek, متفق شکریہ, schukriya, meine Liebe, mach’ ich!"

 

Montagsgedicht


tante trafante


der schneeflockenknopf

am mantel meiner

tante trafante

funkelt dunkel

zur welt wunderbaren

kante


 

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2 commentaires


Andrea Karimé
Andrea Karimé
vor 3 Tagen

Liebe Mascha, danke für deine Geschichte. Das ist so wertvoll. 💛

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Mascha K.
Mascha K.
vor 3 Tagen

Wieder so bunt und inspirierend! Wenn man es liest...und die Woche nicht selbst durchziehen musz -

Fällt mir grad eine SF-Kurzgeschichte aus der Sowjetunion der 70er Jahre ein: da gab es in Murmansk(?) einen Zeitungskiosk, da wurden Zeitungen verkauft, wo darin stand, was erst später passierte. Leider ist mir der Autor nicht mehr bekannt - da ich kein SF-Fan bin, ist er mir nur einmalig in einem dünnen Büchlein begegnet. Die Geschichte war gut!

Was heute so in Schulen möglich ist und diese Vielfalt - davon hab ich seinerzeit nicht einmal geträumt undes waren immer Glücksmomente, fremde Sprachen im Radio zu finden.

Ich hab neulich mal über meine damalige Schulzeit und das Bildungssystem geschrieben und stelle mir grad so eine…


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