

Andrea Karimé
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buchstabenrascheln
andrea karimé, kinderbuchautorin
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(Minigeschichten und Notate vom Tag, von einer, die für Kinder schreibt, geschrieben in Zeiteinheiten, in denen sie nicht für Kinder schreibt. Ein- oder zweiwöchentlich als Blogartikel namens #tagebuchstaben. Mit #kidsbookswritersmoments und einem Montagsgedicht.) Letzte Woche gab es eine große Freude und ein großes Trauriges. Mit dem Grusel-Hund namens Mensch, mit der Geräuschkulisse der Welt, die auch ich beim Schreiben für Kinder nicht ausblenden möchte, mit dem wunderbaren Wunder des Auffindens verwandter Wörter, mit Nava Ebrahimi bei Lena Gorelik. Ihr findet einen Ausschnitt aus meiner Poetikvorlesung und das Montagsgedicht „worthalten“
Der Tag tropft in mein Zimmer und will auf meinen Schoß. Nachdem er gestern von Vergessen und Verwechslung geplagt war. Hab erst den Friseurtermin vergessen, danach die Jurysitzung falsch terminiert, also verbaselt. Verkölnt vielleicht eher. Deshalb habe ich heute frei. Putzen lesen für andere kochen. Ein perfekter Samstag. Kleiner Säusel-Nebel klönt über Köln. Krähen schreien von Herbst.
Ein Hund namens Mensch begegnete mir. Klingt vielleicht lustig. Wenn du aber weißt, dass ein KZ-Aufseher seinen scharfen Hund so nannte, bleibt dir hoffentlich das Lachen im Halse stecken. Unendliche Traurigkeit fühle ich, als Avi Appelstein seine Familiengeschichte erzählte. Und ich fühle Wut, dass fast ausschließlich die Nachkommen der Opfer für die Erinnerung an den grausamsten Teil der deutschen Geschichte zuständig sind. Avi zeigt ein Foto. Lächelnde bewaffnete deutsche Männer. Junge Männer mit Frisuren und Kappe wie mein deutscher Großvater damals. Zu ihren Füßen: jüdische Männer am Boden. Sie genießen den Holocaust, sagte Avi. Möglich, dass auch mein Großvater mitgelächelt hat. Statistisch sogar ziemlich wahrscheinlich.
Ich kriege ein Mikro und einen Raum um über mein Schreiben für Kinder zu sprechen. Wie schön das ist. Ein Schwarze deutsche Studierende bedankt sich hinterher bei mir, dass ich auch „Schwarz und deutsch“ als Beispiel für „unmögliche Identitäten im Kinderbuch“ genannt habe. Wir sprechen noch lange über ihre Pläne. Ich freu mich, dass sie Kinderbücher schreiben will und nenne ihr alle Schwarzen deutschen Kinderbuchautor*innen die ich kenne. Die wunderbare Nazli Hodaie sagt gleich, dass ihr Lieblingsgedanke, der mit den unmöglichen Identitäten ist. Den hab ich ja von Nava Ebrahimi, und die hat ihn bei Zadie Smith aufgeschnappt und weiterentwickelt. Eine Studierende hat ein magisches Wort mitgebracht: Kaczka (Katschka) ist polnisch, klingt wie Katze. Reimt sich auf Mačka (Matschka), was Kroatisch ist und Katze bedeutet. Also mixt man die Sprachen, reimt sich Ente auf Katze. Gedicht? Geschichte? Beides!
Ja ich höre nicht nur das Lachen der Kinder, wenn ich für Kinder schreibe. „Egal wie einsam das Schreiben ist, ist die Geräuschkulisse der Welt immer da, ich kann sie nicht ausschalten, und ich will sie auch nicht ausschalten“, sagt Lena Gorelik auf dem Textland-Festival 2025, also gerade eben. Nein, auch ich will sie nicht ausschalten. Ich weiß, viele, nicht alle, meiner Kinderbuchkolleg*innen tun das. Da kann ich nichts machen. Ich stelle im Vorfeld fest, dass viele nicht wissen, was Poetik ist. Den Begriff mit Poesie verwechseln. Nicht schlimm, kann man googeln, den Begriff. Nicht schlimm, aber ich kann nur sagen, dass mich als schreibende Person das Formulieren einer Poetik immer voranbringt. Mich immer überrascht. Poetik hat mir den Biogra-Fisch beschert, Buchideen. Und diesmal die „Unmögliche Identität“ und die „Zukunftsgeschichten“. Das Formulieren einer Poetik ist wie das schreibende Einrichten eines Zimmers. Oder das Einrichten eines Schreibzimmers. Mittlerweise habe ich vier Poetikvorlesungen halten dürfe. Ein Privileg. Viermal das Mikro. Deshalb sprech ich von Kindern mit Nachteilen und denen, denen die Kindheit weggenommen wird. Poetik ist auch Verantwortung. Viermal Verantwortung.
„Antennenkinder, Krieg und Friedensmaschini“ – Vielschichtige Erfahrungen, "unmögliche Identitäten" und Zukünfte von Kindern im Kinderbuch möglich machen
„Wie alt bist du? In Kriegszeiten/ ist ein fünfjähriges Kind nicht mehr fünf./ Es hat in vier Jahren neunzig gelebt./ Also bitte – frag nicht nach meinem Alter, ich fleh/…“, schreibt die palästinensische Autorin Shahd Alnami.
„Davon willst du doch nicht den Kindern erzählen! Lass den Kindern doch ihre Kindheit!“ So schön zum Nachdenken ist dieser Apell einer weißen Kollegin.
Warum eigentlich nicht?
Zunächst einmal: Natürlich muss nicht jedes in Deutschland erscheinende Kinderbuch von ungerechter Kindheit handeln. Von Krieg etwa. Und ich verstehe alle gut, die sagen: Mein Kind hat das schon live erlebt, es soll nicht davon lesen.
Aber ich möchte Kinder, die von Krieg und anderen strukturellen Ungerechtigkeiten betroffen sind, nicht verschweigen.
Und außerdem ist es ein Fakt, wie sehr auch Kinder in Deutschland die Weltkriege beschäftigen, betroffene und nichtbetroffene gleichermaßen. Die Zeiten zunehmender Verunsicherung spüren Kinder in Deutschland ganz genau. In meiner letzten Schreibwerkstatt, die über das ganze Jahr 2024 in Köln stattfand, konnten die Kinder nicht genug davon kriegen, über Krieg zu schreiben, und vor allem sich Frieden herbeizuschreiben. Frei nach dem Motto der US-amerikanischen Schriftstellerin Lucille Clifton: „We cannot create, what we can’t imagine.” Aber auch als ich noch Lehrerin war, kamen die Kinder mit der Verstörung der Nachrichten über den Irak-Krieg in die Schule. Sie bekamen all das mit, aber niemand sprach mit ihnen darüber. In einem kürzlich geführten Gespräch mit der afrodeutschen Kinderbuchautorin Regina Feldmann, bestätigt sie mir meinen Eindruck. „Das Thema ist omnipräsent in den jetzigen Zeiten. Es beschäftigt meine Kinder viel. … Obwohl sie kein Socialmedia haben kriegen sie es mit. Und deshalb sprechen wir mit den Kindern darüber.„[1]
Und drittens: Ich schreibe gar keine Bücher über Krieg. NEIN. Jedenfalls ist es nicht das vorherrschende Thema. Ich schreibe Bücher über Freundschaft, über Verantwortung, mit Held*innen, die etwas Spannendes, Abenteuerliches und/oder Lustiges erleben. Aber diese Held*innen haben oft Krieg, Flucht oder eine andere zum Himmel schreiende ungerechte Erfahrung gemacht. Auf diese Weise bleibt eine Abenteuergeschichte eine Abenteuergeschichte, aber wir lernen eine komplexe Held*in kennen, die vielschichtige Erfahrungen und Gefühle im Gepäck hat.
Und nicht zuletzt: Ein Krieg, als eine der verheerendsten strukturellen Ungerechtigkeiten gegen Kinder, nimmt Kindern die Kindheit. Kindern wie Alan Kurdi. Nuris Schwester. Und vielen anderen. Eine Geschichte kann das gar nicht.
worthalten
halte das wort
wiege und herze
fällt es
zerschellt es
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[1] Auszug aus einer Sprachnachricht.















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