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"das wort ist ein geschichtenbüro" erik, 4

FAQ. Diversity im Kinderbuch

  • Autorenbild: Andrea Karimé
    Andrea Karimé
  • 30. Apr.
  • 5 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 7. Mai


Ich werde oft zum Thema Diversität im Kinderbuch befragt. Dafür habe ich diese FAQ-Seite eingerichtet. Ich werde sie nach und nach füllen. Sollte eine Frage nicht dabei sein. Schreib es gern in die Kommentare. FAQ. Diversity im Kinderbuch


Das Cover von "Tee mit Onkel Mustafa" von Andrea Karimé

FAQ. Diversity im Kinderbuch

Warum sind “Own Voices” Bücher so wichtig in der Kinderbuchbranche?


Ich glaube, zuallererst hilft vielleicht ein Vergleich, um die Wichtigkeit zu veranschaulichen. Möchten wir nur (Frauen-) Geschichten aus der Feder von Männern lesen? Wäre das egal? Wie würden sich die Frauen unter den Leser*innen sich fühlen? Nein, es wäre unangenehm und ungerecht, wenn Frauen noch mehr aus dem Buchbetrieb ausgeschlossen würden. Genauso wenig ist es egal und geschweige denn akzeptabel, wenn hauptsächlich weiße Menschen Geschichten für Kinder erzählen, und wir auch nur aus der Sicht weißer Autor*innen Kindergeschichten mit marginalisierten Held*innen erzählt bekommen. Es ist also eine Frage der Repräsentation und Teilhabe.

Auch für Kinder ist es wichtig zu sehen, dass auch Menschen of Color bekannte Kinderbuchautor*innen werden können, also das Lesen und Schreiben als Wichtigkeit und Bedeutsamkeit repräsentieren. Und das ist nicht nur für die geschätzt 40 Prozent Kids of Color wichtig, sondern auch für alle anderen. Autor*innen kommt innerhalb der Leseförderung mehr und mehr Bedeutung zu. Wir geben Lesungen und Schreibwerkstätten in Schulen und bei öffentlichen Lesefesten. Autor*innen of Color zu treffen, ist für Kinder sehr unwahrscheinlich. Kinder of Color haben so das Gefühl, dass Literatur nichts mit ihnen zu tun hat. Umgekehrt finden sie über eine Lesung mit einer Autor*in of Color wieder den Link zur Literatur und zum Lesen. Doch wie schon gesagt, sind diese eher die Ausnahme.


Der Begriff „Diversity“ stammt übrigens aus den USA und verweist auf ein Konzept, das mehr Teilhabe in den Wissenschaften fördern und mehr Möglichkeiten für Schwarze Menschen und Persons of Color ermöglichen sollte. Diversity setzt demnach Multiperpektivität voraus. Wenn wir in den Vorschauen PoCs zählen, sind wir schnell fertig und stellen fest, dass der Kinderbuchbetrieb von Diversity im ursprünglichen Sinne weit entfernt ist.

Der Kinderbetrieb ist wie ein Orchester, das immer wieder Geigen einstellt, obwohl Klarinetten, Bratschen, Celli, Trompeten und Pauken fehlen. Macht doch nichts wenn alles mit Geigen gespielt wird. Macht eben doch was. Denn wer erzählt, das Mikro, die Stimme erheben darf, gehört wird, wann und wie lange, das alles ist eine Frage der Macht.



Was bedeuten deine Bücher für deine Leser*innen? Gibt es Rückmeldungen, die dich besonders berührt haben?

Mir sind meine Bücher insofern wichtig, weil ich hier Kinder in den Blick nehme, die es nicht immer so leicht haben. Vielleicht genau wie die jüdische herausragende Jugendbuchautorin Mirjam Pressler sagte: „Mich interessieren ja immer die unbehüteten Kindheiten!“, und wie Kinder daraus immer noch was machen. Mit dem Blick also auf versehrte Kindheiten spannende und lustige Abenteuer zu erzählen und mit Mirjam Pressler damit zu sein, auch damit, eine versehrte Kindheit gehabt zu haben, bedeutet mir sehr viel.

Was die Bücher für Kinder bedeuten, kann ich nur aus ihren Reaktionen heraus vermuten. Es ist natürlich besonders schön, wenn Kinder mir schreiben: Ich hab ein neues Lieblingsbuch und dann einen Titel schreiben. Oder wenn sie sich ein Jahr später noch aufgeregt erinnern, dass sie bei einer Lesung von mir waren. Wie zum Beispiel der Junge in Meschede: „Ich werde die Lesung nie vergessen.“ Ich so: „Warum denn?“ Junge: „Weil das mit den Sprachen war. Ich hab mich gefragt: Warum hat sie das Türkische plötzlich da?“ Er fragte das in einer Lesung von „Der Wörterhimmel des Fräulein Dill“ in dem Türkisch auftaucht.

Da ich in Lesungen immer die Mehrsprachigkeit mit meinen Sprachkenntnissen in den Einwanderersprachen hervorlocke, es passt zu vielen Kinderbüchern von mir, wie Antennenkind, Kalim Baba und die Wörterlampe, Tee mit Onkel Mustafa, Alle-Kinder-Bibel, erlebe ich auch diesbezüglich berührende Dinge:

Lindau 2023: Ein Mädchen aus Klasse 2 meldete sich während der Lesung von Antennenkind überhaupt nicht. Nachher wartete sie bis alle Kinder weg waren, so kam es mir jedenfalls vor, um mir etwas mitzuteilen.  „Ich heiße Öykü!“, sagte sie mit geheimnisvoller Stimme. „Klingt schön!“, sagte ich. Sie kam näher und ihr Blick war nun eindringlich. „Das bedeutet Geschichte? Ich heiße Geschichte! Verstehst du?“ Sie wollte mir mitteilen, wie wichtig dieses Wort auch für mich sein müsse, was es natürlich ist. Ich schrieb es zu ihrem großen Stolz in mein Notizbuch.

Stuttgart 2023. Ich las das aus Planetenspatzen. Das ist ein Gedichtband, in dem ich Wörter aus den häufigsten Einwanderersprachen gesammelt und daraus Kindergedichte gemacht habe. Das Gedicht Matschkakatze mit dem Kroatischen Wort für Katze= Mačka“ sorgte für große Begeisterung. In der ersten Reihe stand ein Junge feierlich auf und sagte: „Ich weiß was Mačka heißt! Ich kann Kroatisch.“ Ohne zu übersetzen, zeigte er auf seine Nachbarin zur Linken. „Sie auch, Sie kann mazedonisch!“ Das Mädchen stand nun ebenfalls auf. „Und sie auch!“, sagte er und zeigte diesmal auf die Nachbarin zur Rechten. „Sie kann bosnisch.“ Auch sie stand feierlich auf. Wie kleine Sprach-Botschafter*innen des Balkans warteten sie nun gespannt darauf, wann ich sagen würde: „Und was heißt Matschka?“, bereit es für alle zu übersetzen.  

Oder in Chur 2025. Auf eine Frage sage ich, dass mein Name und der Name des Buchhelden „Kalim Baba“ aus dem Arabischen stammen. Da sehe und höre ich wie ein Mädchen aus der zweiten Reihe freudig erschrickt, als hätte sie gerade erfahren, dass sie etwas gewonnen hat. Sie zeigt auf, um mir zu sagen, dass sie Arabisch spricht.





Was wünschst du dir für die Zukunft der Kinderbuchbranche? 

Ich wünsche mir im Sinne von Antwort 1 einfach mehr andere Klänge als nur Geigen. Also mehr Zugänge und Geschichten aus nichtweißer Perspektive. Und ich wünsche mir mehr Öffnung und Mut für die Poesie. Uneindeutige Metaphern und Verse fordern nämlich zum Umgang mit Mehrdeutigkeit heraus. Alle Kinder sind heute mit immer komplexeren Lebenswelten konfrontiert und gefragt, verschiedenen Perspektiven anzuerkennen und nicht nur nach einfachen Lösungen zu suchen. Dazu kann ein Versroman mit mehrdeutiger Poesie inspirieren. „Poesie ist der Ort der Sprache, an der sie am effektivsten erneuert werden kann. Poesie ist eine universelle Sprache, die über die Grenzen der Medien hinausgeht und die menschliche Seele und das Unterbewusstsein direkt anspricht“, wie die Künstlerin Katalin Ladik schreibt. Und das bedeutet auch, dass die Poesie alle Kinder ansprechen kann, unabhängig von ihrer Herkunft und Sprache. Kinder verfügen über ein großes poetisches Potenzial, etwa Wortschöpfungen und poetische Konstruktionen, mit denen sie stets um sprachlichen Ausdruck ringen.



Frau Karimé, Sie beschäftigen sich in Ihrer Arbeit mit Mehrsprachigkeit von Kindern und Jugendlichen. Was bedeutet sie und welche Chancen sehen Sie in sprachlicher Vielfalt für junge Menschen?


Für mich ist erstmal immer wichtig: Es gibt nicht die Mehrsprachigkeit, sondern es gibt verschiedene Arten von Mehrsprachigkeit. Das Aufwachsen mit einer Sprache, die vom Umfeld als nicht ganz so prestigeträchtig wahrgenommen wird, unterscheidet sich erheblich vom Aufwachsen in einer Familie, wo Englisch oder Französisch gesprochen wird. Für mich ist sprachliche Vielfalt und jede Form von Mehrsprachigkeit in der pluralen Gesellschaft Normalität. Wenn ich bei meinen Lesungen Kinder treffe, dann habe ich manchmal Schulklassen mit 20 verschiedenen Sprachen. Kinder sind von Mehrsprachigkeit umgeben und es sollte deshalb endlich als der Normalzustand anerkannt werden, der es in unserer vielfältigen Gesellschaft schon längst ist.


Wie können pädagogische Fachkräfte Ihrer Ansicht nach interkulturelle Themen im Kita-Alltag aufgreifen?

Interkulturalität fängt bei der Haltung an. Es geht darum, die Vielfalt der Kinder wahrzunehmen und sie als Bereicherung zu sehen. Erzieherinnen und Erzieher sollten sich auf die Schätze der Kinder einlassen, die oft aus verschiedenen kulturellen und sprachlichen Hintergründen kommen. Eine einfache Möglichkeit, dies in den Kita-Alltag zu integrieren, ist das mehrsprachige Vorlesen. Begrüßungen in verschiedenen Sprachen an die Wand zu hängen, ist ebenfalls eine schöne Methode, um den Kindern zu zeigen, dass ihre Sprache und ihre Kultur hier willkommen sind. Es geht darum, eine Haltung des Willkommens und der Offenheit zu vermitteln und zu betonen, dass Vielfalt der Normalzustand ist.


 

 

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