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"das wort ist ein geschichtenbüro" erik, 4

  • AutorenbildAndrea Karimé

Diversity in der Kinderliteratur? Ich bin MÜDE.


1 ZUM BEGRIFF "DIVERSITY", DEN ICH NICHT MAG:


Diversity? Kenne ich nicht. Finde ich nicht. Schon gar nicht in der deutschsprachigen Kinder- und Jugendliteratur. Das mag mag polemisch klingen und zu rollenden Augen führen, aber ich mag den Begriff einfach nicht! Diversity, da steckt Vielfalt und Differenz und Anders drin. Bewusst entscheiden sich deshalb viele Autor*innen of Color gegen diesen Begriff, der hierzulande von seinen Ursprüngen nichts mehr erzählt.

„Diversity“ stammt aus den USA und verweist auf ein Konzept, das mehr Teilhabe in den Wissenschaften fördern sollte. Mehr Möglichkeiten für Schwarze Menschen und Persons of Color Zugang zur Wissenschaft zu ermöglichen. Teilhabe! Und Multiperspektivität.


„Dabei setzt Diversity Multiperspektivität voraus. Doch anstatt Raum für verschiedene Perspektiven bereitzustellen, bleibt Diversity an den meisten Hochschulen eine leere Hülse ein Modewort!“ schreibt Natasha Kelly in ihrem Buch: "Rassismus. Strukturelle Probleme erfordern strukturelle Lösungen." Ersetzt ruhig mal Hochschulen durch „Kinderbuch-Kontexte".




2 DIVERSITY RECHERCHIEREN?/1

Von welchen Accounts hast du was über Diversity gelernt, fragt auch der #autor_innensonntag, eine Gemeinschaft bei Instagram, die jeden Sonntag über schreibrelevante Themen postet.

Wie verstehe ich diese Frage? Wer ist ihr? Sind „diverse Personen“ mitgemeint? Sagt uns die Frage etwa etwas über die „normale“ also nicht-diverse Lage der Literatur? Ja, auf jeden Fall über die der Kinderliteratur in Deutschland. So eine Frage in meinem Bereich zeigt oft wie weiß, hetero, unbeeinträchtigt, cis und mittelschichtig die Welt der Kinderbuchautor*innen ist.

Deine Diversity ist meine Normality, könnte eine meiner Antworten sein.

Was für die eine Recherchestoffe sind, ist für die wenigen anderen Lebenswelt, Erfahrung, Marginalisierung und Nachteil. „Sie schreiben immer über lesbische Beziehungen“, wurde die Schriftstellerin Sasha Mariana Salzmann einmal im Interview angesprochen. Sie erzählt davon in dem Feature: Frauenliteraturmonat - Sasha Marianna Salzmann stört das Schema (hoerspielundfeature.de): „Ja stimmt. Ja warum mach ich das eigentlich?“ Pause. „Ich denke nicht drüber nach. Das ist einfach mein Blick auf die Welt!“ (Ich liebe dieses Statement!)























3 VIELSTIMMIGKEIT IST DIVERSITY


Der Blick aus der marginalisierten Perspektive erzählt andere Geschichten als der privilegierte Blick. Ist doch klar. Und auch, dass der privilegierte Blick andere Geschichten erzählt, wenn er „recherchiert“. Die Geschichten des marginalisierten Blicks fehlen immer noch überwiegend.

Deshalb ist die vielgerühmte Diversity in der Kinderliteratur, die wie jetzt haben, für mich leider nur eine „Scheindiversity!“

Diversity, die möchte, dass auf dem Cover „alles so schön bunt hier“ ist. Diversity, die möchte, dass es „Diversity-Bücher“ gibt, in denen alle Marginalisierten Personengruppen gleichzeitig repräsentiert wird. Diversity, der egal ist, wer spricht, erzählt, veröffentlicht, kritisiert, auswählt, verlegt, lektoriert.


Aber viele Stimmen die Geschichten erzählen, kommen meiner Vorstellung von "Diversity" schon näher. Stimmen die Narrative verändern. Räume verändern. Erzählgesetze in Frage stellen. Literatur repräsentieren. Vielstimmigkeit ist für mich Vielfalt.

Der Diversity-Begriff wird in der Kinderliteratur ABER nicht Teilhabe-Konzept mit Multiperspektivität benutzt und realisiert. Ganz im Gegenteil. Es wird eine ganz andere Bedeutung etabliert, die Menschen of Color und Schwarze Menschen unter Umständen sogar ausschließt. Erstens, in dem Menschen of Color auf Diversity-Themen festgelegt werden. Zweitens, indem ihre eigene Perspektive und Erzählung von Diversity als zu komplex oder gar unverständlich abgetan wird. Das sind keine Fantasiegebilde von mir, sondern Erfahrungen die die meisten von uns nachweislich machen!


Während ich das schreibe, denke ich an den Bachmannwettbewerb. Ich freu mich sehr, dass Personen wie Jayrome C. Robinet, Jacinta Nandi und Deniz Utlu u.a. dabei sind. Weil da etwas für mich repräsentiert wird, was ich meine Normality nenne. Was für die einen Recherche-Accounts sind, sind für mich mein Netzwerk, meine Freund*innen, meine guten Bekannten. So ein line-up wünsche ich mir viel mehr noch auch für Kinderbuchfestivals. Oder online-Portale der Kinderbuchliteratur, oder Blogtouren ect! Oder Verlagsvorschauen. Ein paar gute Beispiele gibt es inzwischen. Zum Beispiel das Kinderprogramm des Hausacher Leselenz. 


4. DIVERSITY RECHERCHIEREN?/2

Doch schauen wir nochmal zurück auf die Ausgangsfrage der Recherche. Die mich zu einer Frageschleife inspiriert, bevor ich sie einfach beantworten kann.

Ich frage mich, wie „diversityinteressiert“ eine Autor*in wirklich ist, ohne einen Kurs in critical whiteness gemacht zu haben. Wie „diveritätsfreundlich“ ist eine Kolleg*in im Kinderbuchbereich ohne jemals eine Kinderbuchautorin oder Illutratorin of Color empfohlen zu haben. (Merkt sie überhaupt, dass da was fehlt? Wenn ja, ist Wegschauen ja immer eine Option.) Die eigenen Privilegien erkennen, dann Platz machen. Oder über Weiße Privilegien und Täterschaft schreiben. Das wärs. Beides machen aber nur die wenigsten.



Kathrin Schrocke ist eine der wenigen weißen Jugendbuchautor*innen die das Interesse nach „Diversity“ mal ganz anders beantwortet hat. Nicht Diversity ist ihr Thema sondern „White Tears“ und so heißt auch ihr neues Buch, "Weisse Tränen" das im August 23 im Mixtvision-Verlag erscheinen wird und in dem sie sich mit „unsichtbaren Privilegien“ weißer Menschen auseinandersetzt. Wie ich persönlich weiß, ist sie sich aber auch selbst ihrer Privilegien und Vorteile bewusst. Und hat eben bei sich recherchiert. Und nicht nur sie macht Kinderbuchautor*innen of Color unermüdlich sichtbar.

Das ist mal ein guter Anfang!


5. Gegen meine Müdigkeit

Übrigens weiß ich, dass ich mich mit einem Artikel wie diesem im Kinderliteraturbetrieb nicht beliebt mache. Warum sollte ich danach trachten? Es ist mental viel gesünder Integrität über Popularität zu stellen.

Und ich bin nun 17 Jahre dabei habe schon immer das geschrieben, was andere heute mit Diversity bezeichnen. Was hab ich zu verlieren?


Und ich möchte einfach meiner Müdigkeit etwas entgegensetzen. Der Müdigkeit, die mich seit einiger Zeit belästigt, wenn ich die 100ste weiße Abbildung der Saison im Kinderbuch sehe, die nun zwar nicht mehr blond ist, aber brotfarbenes Haar hat, was es nicht besser macht. Die Müdigkeit die sich anschleicht, wenn ich uneindeutige Hautfarben in den Figuren sehe, wenn ich falschgezeichnete schwarze Kinderfiguren sehe. Wenn ich Kids of Color in der zweiten Reihe sehe. Der Müdigkeit, die mich überfällt, wenn ich Listen lese, die „diverse Kinderbücher“ zusammenstellen, mit bestenfalls ein paar wenigen „POC - Alibiautor*innen“ darunter. Die Müdigkeit, die mich überfällt, wenn ich die Vorschauen sehe, und weiß, dass gute Bücher und Buchideen von marginalisierten Kolleg*innen wieder mal im Selfpublishing veröffentlicht werden.


(ich höre schon die Stimmen, die sagen: es ist doch schon viel besser geworden! Diese Vorschau, die das untermauert möchte ich gern sehen! Überhaupt würde ich mich freuen, wenn ich mich irrte!)


6. Verlage gründen


Einige junge Kinderbuchautor*innen of Color gründen derzeit Verlage gegen diese Art Müdigkeit. Omobooks, Gratitude Verlag, Bliblablub-Verlag und Stolze-Augen-Books um nur ein paar zu nennen.

Um den Gate-Keepern in der weißen Kinderbuchwelt ein Schnippchen zu schlagen. Vielleicht ist das die einzige Möglichkeit das zu erschaffen, was meines Erachtens viel wichtiger ist als das, was derzeit in aller Munde mit „Diversity“ bezeichnet wird, nämlich Vielstimmigkeit.


Viele Stimmen die Geschichten erzählen. Narrative verändern. Räume verändern. Literatur

repräsentieren. Vielstimmigkeit ist für mich Vielfalt.


Shida Bazyar hat auf einer ihrer Lesungen auf die Fragen nach der Vielstimmigkeit geantwortet: Wenn ich irgendwo lese, verändert sich der Raum.“ Warum? Sie lockt einfach noch andere Menschen an, als die, die derzeit das Publikum etwa in Literaturhäusern abgibt.


7

. Gegen die Müdigkeit 2


Ich habe diesen Text geschrieben, anstelle von Accounttipps, um eine Gegenerzählung zu den üblichen "Diversity-Diskursen" zu sein. Wer mir hier oder auf Instagram folgt, kriegt ja eh immer Tipps. Wirklich Interessierte, kommen allerdings nicht um Selbststudium und Lektüre Mohammad Amjahid, Alice Hasters und Josefine Apraku herum, um nur einige zu nennen. Dazu hätte ich massenhaft Tipps für euch, die ich bei Interesse in die Kommentare schreibe. 

8. Warum Vielstimmigkeit? - einer von vielen Begründungen

Wie wichtig eine Kehrtwende aber wäre, zeigt die Realität im Klassenzimmer. Nichtweißsein oder Mehrsprachigkeit ist dort „Normality“. Aber wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass Kind mal eine Autor*in of Color kennenlernt?

Meine Kollegin Anja Tuckermann hat richtig beobachtet: „wie die Kinder sich freuen, wenn jemand wie sie im Kinderbuch vorkommt.“ Und wenn erst die Autor*in aussieht wie sie? Wenn eine wie sie die Literatur repräsentiert? Und wenn sie erst einen ausländischen Namen hat? Dann ist der link zur Literatur erst vollständig, behaupte ich.


In meiner Schreibwerkstatt in Köln Kalk, die ausschließlich von Kindern vom Rand, also Kindern durch Armut, strukturellem Rassismus betroffen sind und für die der Zugang zu Bildung und Kultur erschwert ist, habe ich dies drastisch erfahren. Dincer Gücyeter hat uns besucht, und der kurdisch-deutsche Junge wollte nicht glauben dass er ein berühmter Dichter ist. „Der sieht nicht so aus!“ Ich so: „Wie müsste er denn aussehen!“ „Heller!“ (Und nicht wie mein Vater, hab ich in Gedanken angefügt!“



Unsere Kinder of Color lernen (in der Regel) bei einer Lesung oder beim Lesen: 1. Ich komme nicht vor. 2. Ich komme als Nebensache im Kinderbuch vor. 3. Ich komme als Signal für Diversity im Kindersachbuch vor. UND: 4. Eine Autor*in ist weiß. 

Wie gesagt, ich würde mich sehr freuen, wenn ich mich irrte. Zeigt mir Vorschauen, wo das Verhältnis dem Verhältnis in unseren Schulklassen angepasst ist. Oder sich zumindest annähert. Zeigt mir Empfehlungslisten wo es so ist. Sie alle werde ich gern veröffentlichen.
Und mich freuen, dass ich mich geirrt habe.
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