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"das wort ist ein geschichtenbüro" erik, 4

"Verwöhnte Sprachen" Tagebuchstaben 55

Autorenbild: Andrea KariméAndrea Karimé

Was sind tagebuchstaben?

Hier schreibe ich nahezu täglich ein Notat und veröffentliche mehrere wöchentlich als Blogartikel namens #tagebuchstaben. Biografisch, unsystematisch und poetisch. Vom Schreiben und Leben. Vom Arbeiten als Kinderbuchautorin (of Color) und Dichterin. Am Ende jeder Woche findest du ein Montagsgedicht. Diese Woche notierte ich mit einem Motto von Lena Gorelik und reiste aus meiner Schneckenschreibschale heraus nach Berlin.


Andrea Karimé im Pullover mit Elsternmuster einem Handy in der Hand, Selfie im Spiegel
Selfies mit den bezaubernden Kolleg*innen vergessen, deshalb Hotelbadezimmerselfie.

Dienstag, der 21.1.25 (Lesung)

Heute: erste Lesung 2025 hier im Veedel, und übermorgen erste Reise 25 nach Berlin. Lesen im Wedding. Das Gleichgewicht kommt  jetzt langsam aus dem Gleichgewicht. Nebelweiße Schwindelichter gehen an. Nebelschriften nicht zu entziffern. Ich packe zweimal. Zuerst: Antennenkind, Kigonki, Flöte, Gästebuch, Autogrammkarten, Tschaistempel. Dann für Berlin: Soraya, das kleine Kamel, kleines Kamel mit Sternenkette, riesige Stoffschlange, Geschichte-an –Geschichte-aus-Lampe, Kigonki, Flöte, Autogrammkarte, Kuschstempel. Mein Programm: Der Vogel Kusch, der das Meer austrinken wollte, (Storytelling, Märchen aus Syrien), Soraya das kleine Kamel (Lesung), Der Junge und die Schlange (Storytelling, Märchen aus Libanon.)  

 

Mittwoch, der 22.1.25 (Nebelkäse)

Winterdunkelmorgen. Da kommt Licht. So eine Milchdecke, so ein Graukäse. Nebelkäse. Ich ziseliere, buchstabiere. Und heute Abend gibt’s die fabelhafte Hadija Haruna Oelker in Köln. Ich freu mich.

 

Donnerstag, der 23.1.25 (Schreibschale)

Eigentlich liebe ich den Winter ja auch. (Nein nicht Graukäs und Kälte.) Erlaubtes Verkriechen. Hab schon 6 Bücher gelesen. Davon ein Highlight: Juli, August, September von Olga Grjasnowa. Also, ich meine gehört habe ich den Roman, ich mach das parallel. Hören und Lesen. Aber ich liebe Winter nur, wenn ich nicht im Dunkeln rausmuss. Aus der Schneckenschreibschale ins hektische unsichere Leben einer Kinderbuchautorin, deren Herkunft dem Mainstream nicht passt. Also auf nach Berlin. Lesen morgen in der Bibliothek am Luisenbad. Irgendetwas in mir will nicht. Obwohl mir Lesen immer Spaß macht.

Aber im Februar geht’s wieder hinein ins Schreiben vier Wochen.

 

Freitag der 24.1.25 (Berlin)

Du guckst in eine Parterre-Wohnung hinein, siehst eine Küche und es ist eine Bar. Das ist Berlin, sage ich zu Eva Lezzi, unterwegs in Moabit. Gerade waren wir bei einer Veranstaltung mit Rabbi Reuven Firestone, der humorvoll, klug und spannend aus seinem Leben, seinen Islamstudien, seinen Sprachen und Gedanken erzählt. "Der Antisemitismus ist nicht im Islam verwurzelt, aber im Christentum!", postuliert er. Ja, europäische Christen haben ihn erfunden! Können bitte Onkel Scholz und Onkel Herzlosmerz am 27.1. daran erinnern?

Ansicht Restaurant Kanaan im Prenzlauer Berg von der Straße aus. Aufschrift: "Kanaan. Best Hummus in Town"
"Make Hummus, not war", Kanaan-Slogan.

Samstag, der 25.1.25 (Rojbasch)

Gestern Lesetag in Berlin in einem Schmuckstück. Samia Bacha Mohamed und die Bibliothek im Luisenbad haben 180 Kinder zu drei Lesungen mit mir in den Puttensaal eingeladen. Es geht im Programm BIB-Start darum, Weddinger Kinder mit der Bibliothek vertraut zu machen und ihnen tolle Erlebnisse mit Geschichten und Büchern zu bescheren, auch durch eine Lesung, und da kam Samia auf mich. Wie schön. Auf die Frage, wo ich meine Geschichten aufbewahre, wenn sie noch nicht im Computer oder ein Buch geworden sind, antwortete ein Mädchen: „Im Herz!“ Und auf die Frage, ob irgendein Kind das Wort „Rojbasch“ verstünde, sprang ein Junge in die Luft und rief: „Das ist Kurdisch, das ist Kurdisch.“ Ein Mädchen entdeckte die ukrainischen Untertitel auf meiner Bilderbuch-Präsentation und las sie vor. Kollegin Anna Praßler, die meine Lesung besucht hat: „Es ging so ans Herz zu sehen, was den Kindern diese Begegnung bedeutet.“ Und das denke ich, ist ja gegenseitig. Schön war auch die Reaktion auf meine neue Idee von unterwegs zur S-Bahn, die Vogelgeschichte mal anders einzuführen: „Welche Sprache spricht der Vogel Kusch?“ (Klar, Türkisch, sagt immer Yapma yapma zum Meer.) Jetzt packe ich wieder ein, und stelle fest, alle Selfies vergessen zu haben: mit Eva Lezzi, mit Irem Kurt ("Das hätte man direkt als Hörspiel aufnehmen können!"), mit Samia Mohamed ("Bei Andrea Karimé sind alle Sprachen willkommen".) und mit Anna Praßler.

Es war mir eine besondere Freude und Ehre allerseits. Im November sehen wir uns wieder.

(Mehr lesen auf meinem Blog. Kusch heißt Vogel auf Türkisch, Rojbasch Willkommen auf Kurmancî (Lautschriften der Autorin)


Notizbuch, aufgeschlagen. Kinderschriften auf Deutsch und Russisch..

Sonntag, der 26.1.25 (verwöhnt)

Lena Gorelik, eine Fundgrube, ein Geistreich. „Verwöhnte Sprachen, die nicht geübt sind, Worte zu erfinden, für Dinge, die Menschen erfinden, denen das Leben nichts schenkt.“ So wahr, so viele Türen zu neuen Wörterhimmeln öffnen sich, so viel: „Ach, jetzt weiß ich, warum ich immer und überall neue Wörter erfinden will“, ist da. Höwwe-Höwwe hieß das Einschlaf-Mittel meiner Schwester und mir, den Kopf hin und her drehen auf dem Kopfkissen, immer weiter, bis der Schlaf kommt, das war Höwwe-Höwwe. Für die Tage, an denen sich meine Eltern sehr laut (sehr traurig-schaurig) stritten. Meine Sprache ist nicht verwöhnt. Ich habe von Anfang an neue Worte gebraucht und gefunden für meine Realität. Und das geb ich jetzt an Kinder weiter. "Das ist ein Weg, um Sprache zu

dekolonisieren und sich neu anzueignen", so Claudia Währisch-Oblau in der Alle-Kinder-Bibel.


Montagsgedicht


summsilikum kehrfährt herum


schüttle worte heut ich krumm

rüttle sätze und ich um

buchstaben brummbrumm

mubb-mubb bumm-bumm

summsilikum kehrfährt herum


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