
Diese Woche/Tagebuchstaben
(Hier schreibe ich nahezu täglich ein Notat und veröffentliche mehrere wöchentlich als Blogartikel namens #tagebuchstaben. Biografisch, unsystematisch und poetisch. Vom Schreiben und Leben. Vom Arbeiten als Kinderbuchautorin (of Color) und Dichterin. Am Ende jeder Woche findest du ein Montagsgedicht.)
Diese Woche mit Flieren und Wehwehwehwehwesen die auf meinen Buchstabengeländern balancieren und Textmelodien säuseln, einer jugendlichen, viel zu früh gestorbenen Schriftstellerin, viel grausigem Grau, -trug Lichterkette dagegen- und einem Montagsgedicht frisch aus dem Quarkpark.
Dienstag, der 11.2.25 (Flier)
Bin wieder mit Flier, Schwindelicht und Wehwehwehwesen in neuer Geschichte unterwegs. Bei offenem Fenster und Hafermilchkaffee. Höre, wie der Nachbar mit seinen Kindern „diskutiert“. Über die Geschwindigkeit des Abflugs zur Schule. Kinder singen und säuseln unbeirrt weiter, wie das Flier in meiner Geschichte. Je fester der Rechtsruck geschnürt und grölend vorbereitet wird, desto mehr wird enthüllt, veröffentlicht, verlautbar. „Denn auch wenn die Bearbeitung der NS-Vergangenheit zu den wesentlichen Sujets der deutschsprachigen Nachkriegsliteratur gehörte – den Überlebenden der Vernichtungspolitik hat man erst sehr spät und nur widerwillig einen Platz eingeräumt“, schreibt Christian Dinger in „Da wurde es meine Geschichte“ - Über Aneignung in der Holocaust-Literatur - 54books. In Deutschland wurde nichts, aber auch gar nichts richtig aufgearbeitet. Den pissigen Salat hammer jetzt: Rückkehr und Glanz der Rechten.
Mittwoch der 12.2.25 (Anne)
Gestern bei Anne Frank. Gewürdigt von Simone Scharbert in der Bonner Altstadtbuchhandlung. Ich muss ja nach Bonn fahren, in Köln denkt „man“ ja nicht dran. Lebt noch hinter dem Mond, wo Fräuleinwunder gesagt wird? Was weiß ich. Das Tagebuch wird Anne zur Freundin, ergo der Text. Sie fragt und antwortet, entwickelt dieses Schreibverfahren in der aufgezwungenen Einsamkeit und dem begrenzten Raum des Untertauch-Verstecks vor den Nazis. Schreibt Romanentwürfe, Kurzgeschichten und buchstabiert Hoffnung und Verzweiflung, aber auch viel Alltägliches: Kämpfe mit Mutter und Schwester, Liebe und Kummer, Fragen zum Körper.
Donnerstag, der 13.2.25 (Frank)
Stau von grausigem Grau vor dem Fenster. Es will nicht richtig hell werden. Nein, es will nicht. Es will im Graukleid bleiben, das Geschöpf mit den 24 Ten-Tag-eln, das wir Tag nennen. (Das Programm möchte, dass ich das das vor wir mit zwei s schreibe. Das Programm weiß auch nicht alles.) Kommt vielleicht ein Tagedieb klaut und mir diesen Tag und schichtet ihn und wie bei Rose Ausländer in eine Vorratskammer? Ich dachte und dachte, schreibt Anne Frank. Sie denkt über alles nach, vom Mittagessen bis zu den Sternen. Von Menschenwürde bis Wutanfall. Ich weiß noch, wie ich sie entdeckt habe, in Klasse 8 hielt Julia Recknagel, die Tochter meines herzlichen Musiklehrers ein Referat über sie. Der Deutschlehrer, der mich nicht mochte, ich ihn aber, empfahl uns die Lektüre. Solchen Empfehlungen pflegte ich immer zu folgen und kaufte mir die ein Zentimeter dicke Fischer Taschenbuchausgabe vom Sparschweingeld, (Sparpinguingeld) da ich nicht die Tochter eines Musiklehrers war. Konnte so viel verstehen. Anne war ein Mädchen wie ich Las gern, schrieb gern. War marginalisiert. Und eingeschlossen. Ich kannte tatsächlich beides. Und sah ich nicht sogar aus wie sie? Das dachte ich damals. Mit 13. Überwältigt und geschockt. Ich las und las. Und dachte und dachte. Am Schluss weinte ich und konnte wochenlang nicht mehr schlafen. Niemand in meiner deutschen Familie wollte über diese Zeit sprechen und darüber, dass Anne Frank eine von den sechs Millionen Juden/Jüdinnen war, die ermordet worden waren.
Freitag, der 14.2.25 (Tschüss)
Ich recherchiere zu dem Wort Cüs (Tschüsch), das ich im Theaterstück „Vatermal“ gefunden habe. Es klingt wie Tschüss und das gefällt mir. Ein Wattebausch namens Tschüss. Oder so. Google sagt, es hieße wow. Aber Google ist nicht zu trauen. Deshalb frage ich meine Freundin, die Türkisch kann. Das Wort ruft unschöne Erinnerungen bei hervor. Sie erinnert Diskriminierungen. Ich solle aber auch noch andere Fragen. Trinke also Cay in meiner türkischen Bäckerei. Der Besitzer verzieht das Gesicht bei dem Wort. „Wie solll ich Ihnen das sagen!“, überlegt er. „Ich sage es Ihnen: Wenn sie Stopp zu einem Esel sagen wollen, dann sagen Sie Tschüsch. Zu einem Esel!!“
Die migrantische Jugend hat sich das Wort angeeignet. Das ist ja gar nicht mei Kapp of Tschay. Nur werde ICH das Wort jetzt nicht mehr poetisch verwenden können. Tschüss, Tschüsch.
Montag, der 17.2.25
Ach Geschichte
Hast mich endlich gefunden
Runden später
vor Park von Quark
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