

Andrea Karimé
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buchstabenrascheln
andrea karimé, kinderbuchautorin
Aktualisiert: 29. Juni
(Hier schreibe ich nahezu täglich ein Notat und veröffentliche zweiwöchentlich als Blogartikel namens #tagebuchstaben. Biografisch, unsystematisch und poetisch. Vom Schreiben und Leben. Vom Arbeiten und Leben als Kinderbuchautorin (of Color) und Dichterin. Am Ende jeder Woche findest du ein Montagsgedicht.)
Diese Woche tagebuchstaben aus zwei Wochen, mit Menschen, die Araber heißen, mit Gedankentrödel, dem Meer, dem Meer, mit einem Funkelchen aus meinem neuen Kinderroman, skurillen Pumponellen, der kraftvollen poetischen Begleitung von Doğan Akhanlı und Friederike Mayröcker, mit glücklichtraurig klugen Welt-Worten von Nava Ebrahimi, mit einer großen beruflichen Überraschung, die mich auf Korfu erreicht und mit dem Wellkamm von Madamm in einem Montagsgedicht.
Hab 14 Tage keine Morgenseiten geschrieben. Kein Stiftschweifen, kein Gedankentrödel. Nur Wolkenpudding im Kopf. Seit meine Schildkröte tot ist, hab ich oft Wolkenpudding im Kopf, denkt mein aktueller Kinderbuchheld. Aber irgendein Glück ist auch in einer Ecke von Herzzimmer. Weiß nicht, wo es herkommt, aber muss jetzt schnell sein: Wenn das Glück kommt, muss man ihm einen Stuhl hinstellen. (Mirjam Pressler) Das Glück setzt sich. ISchlüpfe in die (thrilling me forever) Ausstellung „NOBODY‘S LIBRARY“ von Stephen Gill. Was du nicht übersetzen kannst. Nur auf Kosten von Klang. Oder untersetzen, ich meine, Untersatz machen, respektive Untersetzer? Niemandes Bibliothek. Oder: Bibliothek von Niemand. Oder Keine-Seele-Bibliothek. Merkstu was? Der Nachtvogel von Stephen Gill mag Wolkenpudding bestimmt lieber als übersetzte Untersetzer.
Längster Tag. Letzte Lesung vor Ferien in Braunschweig. Leider war neben dem Lesezelt eine Bandbühne. Die Kinder hat es nicht gestört. Ich so: Gefühl von Riesenrad im Kopf. Das meinte Yoko Ono sicher nicht mit “I am dancing in my mind always”. Jeder Tanz im Kopf ist unmöglich, aber erzähle, weil die Geschichten im „schönsten Zimmer in meinem Kopf“ immer präsent sind, auch wenn mein Bewusstsein flackert. Und prompt gibt’s berührte Rückmeldungen von Erwachsenen und Kinderaufmerksamkeit geschenkt. Später im Zug wie immer ein Mann dabei, der ein Video schaut, ohne Kopfhörer zu nutzen. USA unterstützt aktiv Israels Krieg. Das sind schreckliche Nachrichten. Für den iranischen Taxifahrer aber nicht. Er hat nun Hoffnung zurückkehren zu können. „Der Preis ist hoch, ich weiß“, räumt er ein. Ich bedanke mich ehrlich für seine Perspektive. Schreibe. Schreibe zettelköpfig verzettelt einen Newsletter. „Art is not just für peace-times“, meint Amie McNee. Greife noch mal nach Yoko Ono. “Imagine Peace”, schreibt sie, und „Sister, there is a wind that never dies/ Sister, we’re breathing together”.
Mein Urlaub beginnt mit noch mehr Krieg als gestern. Mein Urlaub beginnt mit einer weltkugeldicken Träne von Vogel Kusch. Wollte heute ein ganz anderes Gedicht posten, aber ich habs nicht geschafft. Wird’s in einer Woche noch schlimmer sein? Immer wenn ich denke, noch schlimmer geht nicht, werde ich eines Besseren belehrt. Und: Andere Menschen leben schon (lange) immer in schlimmeren Zeiten. In immer schlimmeren Zeiten.
Afixi heißt Ankommen. Ich bin ein Afixi. „Pumponellen/ sleit de bellen/ pipapuff“, lese ich bei Mayröcker. Ja, so ungefähr. Gestern nach dem Flug definitiv wie Pumponelle gefühlt. Niemand weiß, was das ist, aber es klingt nach Pimpernelle, Mirabelle, Frikadelle. Und nach aufgepumpt sein. So ich Gefühl mich, ja und verflugt. Stunden geschichtet werden deine Jacke. Ob du willst oder nicht. Stundengeschichten, Taschen, Koffer, Tüten, Blüten. Heute Morgen Libellenwellen auf dem Meer vor dem Fenster und ein Flockenstocken meines Stifts. Ich weiß selbst nicht, was ich meine. Höre Hahn und Huhn und Wasserhahn. Meer und Motor von irgendwas. Schildkröte krötet im Gras bei Restaurant. Blick auf Meer und mehr. Ja, ja, ich weiß, das hast du irgendwo schon mal gelesen. Endaxi antworte ich dir, εντάξει, und das heißt nicht im Taxi, sondern mischmuschkilla. Tja. Arabisch müsstest du können. Und wer weiß, vielleicht heißt Afixi Pumponelle?
Skyli (Σκύλi) heißt Hund. Und hundig hundet der Hund der albanischen Nachbarn vor dem Meer herum, beobachtet argwöhnisch seinen eigenen gelben Ball wie einen fremden Planeten, der vom Himmel gestürzt ist und nun mit den Wellen wegschwimmt. Blonde deutsche Kinder in Neoprenanzügen beobachten ihn und geben ihm liebvoll Tipps. Schieben den Ball kleine Stücke in seine Richtung. Hund hundet weiter. Heile Welt für 14 Tage will kommen. Aflixi und Skyli. Hund und Ankommen. Beide letzte „I“ betonen. Ich stelle mir vor, die heile Welt wäre nicht nur blonden deutschen Kindern vorenthalten, sondern allen. Alle Kinder der Welt dürften am Mittelmeer baden (in dem bitte niemand mehr ertrinkt) und sich mit freundlichen Hunden mit Schwimmangst unterhalten. In Neoprenanzügen; bis Kriege vorbei sind. „Denn es erfordert unsere ganze Vorstellungskraft, mit anderen, besseren Geschichten die Lücken zu füllen, Geschichten von Zugehörigkeit, Verbundenheit und Verantwortung, die einen viel stärkeren Sog ausüben können, solange wir nicht alles Menschliche in uns abgetötet haben!“, sagt Nava Ebrahimi in ihrer traurigglücklichen Rede zur Eröffnung der Bachmann-Preis-Tage. Wie schön das wäre.
Setzen wir unsere Vorstellungskraft ein gegen die Erzählung, dass uns nur noch Waffen, Dominanz und am Ende der private Exit zu retten in der Lage sind. (Nava Ebrahimi)
Tipota heißt nichts. Oder Teekanne da. Ob tipota drin ist? Vielleicht Kokos, wie etwa dieser Vers behauptet: Tipota/ Koko Pota? Am Morgenstrand jedefalls passiert nichts. Else-Lasker-Schüler widerspricht leise in meinen Kopf: „Wasserseiden, die da spielten: Kommen und Vergehen“. Ach ja! Die Wellen überschlagen sich zurückhaltend. Als ob sie auf ihre Geschwister achteten, zögern sie. Erst wenn die untere weg ist, fallen sie. Wasserseiden eben. Und wie seltsam, ich mache Urlaub von Deutschland. Deutschland einmal totalegal. Kraftsammlung. Nun, seltsame Dinge ereignen sich nicht nur in Geschichten, sondern auch im wahren Leben, so Doğan Akhanlı.
Αραβας/ Arawas heißt Araber. Ein Kind namens Araber, möchte ich die Tagebuchstaben nennen, denn heute heiße ich mal wieder Araber. Gefühlt zumindest. Das kann ich mir nicht schöndichten heute, egal wie viele Raben aus den Lettern flattern, egal wie viel schwarze Aras "Raba-Raba" rufen. Mein Name ist Araber. Ich heiße Araber, spreche Deutsch und Deutsch, und sehe mich heute im Spiegel der meisten weißen Menschen auf der Welt. Ich heiße Araber, weil mein Vater auch Araber heißt. Das ist praktisch. So brauche ich mir meinen Namen nicht zu merken, und seinen auch nicht.
Ich mache Urlaub. Und schreibe. Buchstaben sind immer dabei. Lesen und Schreiben. Tagebuchstaben. Notizen. Sammlungen. Allerdings, so spreche ich meiner Freundin Maria eine Nachricht, lasse ich meine Kinderbuch-Projekte 2 Wochen lang verschlossen im Computer. Ich denke auch nicht an sie. Die Sorgen und meine Zukunft sind gestern von einer griechischen Dschunke abgeholt und irgendwo außer Sichtweite geparkt worden. Sie werden zurückkommen, wenn ich wieder in Köln bin, haben sie gesagt. Auch das Angebot eines großen Verlags, - unglaublich - schaukelt nun unter einem roten Stoffdach; das erste Angebot dieser Art in meinem fast 20-jährigen Kinderbuchautorinnenleben erreicht mich hier in Griechenland; ins Boot damit und das, was ich dazu denke, auch.
Montagsgedicht
Wellkamm Madamm
Meereswellen und Schäume
Friedilien und Träume
in Haare und Kopf
kämmt der Well-Kamm
muschelig und minzig
golden und winzig
erzählt und verspricht
Madamm Wellkamm
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