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"das wort ist ein geschichtenbüro" erik, 4

AutorenbildAndrea Karimé

"On learning to write again" - tagebuchstaben 23

tagebuchstaben nenne ich mein Tagebuch/Wochenbuch in Notaten aus den Morgenseiten und dem Manteltaschenbuch. Mit einer scheinbaren Vogelrettung, einer Namensgräte im Hals, Wortbeistand von Adania Shibli, Elina Penner und Chisako Wakatake einem Schüttelreim und einer zauberhaften Katze aus dem neuen Buch von Susann Bee.

Eine Katze, die auf einer grünen Wiese steht.
Aus "Zoey, die Superheldin - Schneckenalarm" von Susann Bee.

Dienstag, der 21.5.24 (Benehmen)

Nachhallig beschäftigt mit Elina Penner. Höre „Hauptstadtmutti“. „Die Migration der Vergangenheit bleibt meine Gegenwart … egal wie viele Rolf Zuckowski Lieder ich auswendig kann“. Oder „Schlechtes Benehmen ist ein Privileg“. Wenn weiße privilegierte Kinder sich schlecht benehmen, ist das längst nicht so ein Risiko, wie wenn migrantische Kids oder Kids of Color das tun. Neulich ist die Tochter (10) einer schwarzen Freundin mit der Polizei nach Hause gebracht worden, weil sie am S-Bahnhof einen Mini-Flohmarkt gemacht hat. Das hatte nicht einmal was mit „schlechtem Benehmen“ zu tun. Die Frage drängt sich auf, ob das weiße Kind ebenso „abgeführt“ worden wäre. Wohl kaum.


Mittwoch, der 22.5.24 (Kirsch)

Eine Katze begegnet mir am Morgen. Mit kreisrunden schwarzen Augen, groß wie Lupen. Es ist eine Nebenfigur in Susann Bees neuestem Kinderbuch. Aber sie schaut mich an, als wollte sie sagen, ich wünsche dir schöne Träume. Und dann höre ich einen echten Vogel. Irgendwo in meiner Wohnung. Zwitscherostinato. Oder besser: Zwitsch, ostinat. Der Ton wird in meinem Arbeitszimmer lauter. Kein Geflatter. Und: Ich sehe nichts. Lasse die Balkontür auf und hoffe, dass, falls der Vogel nicht doch nur in meinem Kopf wohnt, entwischen kann. Journaler mit Vogelton würde Sarah Kirsch vielleicht schreiben, deren Bücher ich immer wieder hervorziehe. Vor allem: Das simple Leben aus „Gesammelte Prosa“.

 

Donnerstag, der 23.5.24 (Limonade)

Ich habe frei. Ein freier Tag, weil ich am Sonntag arbeite. In mir ein Limonadengefühl, voller Adjektive. Ich rief meine Freundin Gala an, mir zu helfen, den Vogel zu retten. Wir stehen in meinem Arbeitszimmer. Hören den Vogel ohne Geflatter. Laut ist er, sagt Gala. Und plötzlich wird es klar, das jämmerliche Fiepen kommt aus dem Rauchmelder. Er meldet das Schwächeln der Batterie. Wir lachen und trinken einen Kaffee auf dem Balkon, wo echtes Gezwitscher uns umperlt.

 

Freitag, der 24.5.24 (Gräte)

„Eine Gräte im Hals geht weg, wenn man einen Klumpen Reis schluckt, aber ein Wort, dass im Herzen steckt, bleibt stecken und stört für alle Zeit.“ Chisako Wakatake. Eins der Geburtstagsbücher. Es dauert 26 Seiten, bis ich drin bin, bis ich mich auf das Tempo der Erzählung eingestellt habe, bis der Text mich in sich zieht. Welches Wort steckt in meinem Herzen und stört für alle Zeit? Es sind mehrere, es sind Namen.

 

Samstag, der 24.5.2024 (Leise)

Mein Samstag ist leise. Die Nachbarin steht spät auf, also später das laute Ausklopfen des Siebträgereinsatzes und Pochen von Ferse, auf meinen Kopf. Das ist mein Wecker. Klopfen, Pochen, Fauchen der Kaffeemaschine. „Momoko bleibt ruhig, passt ihr Schlürfen dem Rhythmus des Raschelns an“, schreibt Chisako Wakatake. Ich bleibe auch ruhig, fokussiere Teeschlürfen und das Scharren des Stifts auf dem Papier der Morgenseiten. Leise wie die Krallen eines Meerschweinchens. Meine Mutter schickte mir ein Bild. „ich hab was gefunden“, schrieb sie. In den Tiefen ihres Portemonnaies versunken. Ich und mein schwarzweißes Meerschweinchen. Meine Assoziationen aus der Blüte des Wakatake-Gedankens.


Sonntag, der 26.5. (Straßenlaterne)

Eine stecknadelkopfgroße Fliege, gehaucht über meine Bettdecke. Ich schau aus fleckigen Fenstern. Hof schweigt. Leise Meisen. Lese den Essay „On learning to write again“, von Adania Shibli. Was bringen Worte noch? “Perhaps words are like this. They can, for all their smallness, leave a certain trace in the world, as did this faint light emanating from the streetlamps.Trotz ihrer Kleinheit hinterlassen Worte Spuren, vielleicht wie das schwache Licht einer Straßenlaterne, das wir nachts nicht missen wollen würden. So auch diese Worte, die ich schreibe.


Montag, der 27.5.2024 (Lese)

 

Ach ach, so

Madamm Rese leise

Mach mich nun fort

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