

Andrea Karimé
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buchstabenrascheln
andrea karimé, kinderbuchautorin
Ich fahre, wenn es irgendwie geht, einmal im Jahr auf eine griechische Insel, um mich zu erholen und meine asthmatisch und kölnisch geplagten Atemwege zu regenerieren. Luxus pur für mich. 14 Tage am Meer. Vorher muss ich allerdings die typische Buchungsängst einer freiberuflichen Kinderbuchautorin überwinden. Falls geschafft, lass ich meine aktuellen Kinderbuchprojekte zuhause. Das Schreiben aber packt sich selbst in den Koffer. Die Wörter wollen die Welt sehen oder die Welt meine Wörter. Je entspannter ich werde, desto mehr bin ich poetisch aufgescheucht. Wie das aber mit dem klassischen "Abschalten" bei mir ist, erzählt dieser Blogartikel direkt von Korfu, wie Wörter und Geschichten mir hier hinterherlaufen und wie ich Schimmerdinge in mir konserviere.
Urlaub ein paar Monate im Voraus fest zu buchen, ist immer eine Heldinnentat für eine Freiberuflerin wie mich. Kann ich mir leisten, für Lesungen nicht verfügbar zu sein? Werden nicht ausgerechnet dann tolle Veranstaltungen stattfinden? Kann ich mir Urlaub überhaupt leisten, werde ich genug Lesungen und Workshops im Anschluss haben? Gegen alle Stimmen mache ich es dann, ich zwing mich dazu. Wenn ich nicht ein halbes Jahr im Voraus buchen würde, hätte ich immer Gründe, den Urlaub zu verschieben. Ohne die Verbindlichkeit des gebuchten Flugs würde ich besonders "spannenden" Veranstaltungen immer wieder den Vorrang geben. Und ja es könnte sein, dass ich das ganze Jahr keinen Urlaub machen würde. Das Urlaubsziel muss übrigens weit weg sein. Denn andernfalls könnte mir einfallen, mittendrin doch eine Lesung zu veranstalten. Hin- und herzufahren und den Urlaub zu unterbrechen. Doch ich muss Urlaub machen. Ich muss ans Meer, wegen der Lunge. Außerdem: Abstand gewinnen, Kräfte sammeln, erholen. Von Köln, von Deutschland, von meinem immensen Arbeitsaufwand. Und deshalb buche ich was in Griechenland, damit ich keinen Rückzieher machen kann. Und ich buche es auch immer mit einer Freundin zusammen. Das hilft. Vielleicht würde ich andernfalls ...
Übrigens: Das Wort: Buchungsängst habe ich mir abgeleitet aus dem Wort Reise-Ängst von Judith Peters. Ihren lesenswerter Artikel über Online-Business und Reise-Ängst findest du HIER
Kleiner grauer Hund beobachtet am Strand argwöhnisch seinen eigenen gelben Ball wie einen fremden Planeten, der vom Himmel gestürzt ist und nun mit den Wellen schwimmt. Blonde deutsche Kinder in Neoprenanzügen beobachten ihn und geben ihm liebvoll Tipps. Schieben den Ball kleine Stücke in seine Richtung. Hund hundet weiter. Heile Welt für 14 Tage will kommen. Ich stelle mir vor, wie alle Kinder der Welt am Mittelmeer baden und sich mit freundlichen Hunden mit Schwimmangst unterhalten dürften. In Neoprenanzügen; bis Kriege vorbei sind. Ich stelle mir vor, dass niemand im Mittelmeer, auf dessen Bläue ich unentwegt starre, ertrinkt. Kein einziges Kind der Welt Hunger hat, oder Soldat sein muss. Alle Kinder Erwachsenen Fantasie beibringen. „Denn es erfordert unsere ganze Vorstellungskraft, mit anderen, besseren Geschichten die Lücken zu füllen, Geschichten von Zugehörigkeit, Verbundenheit und Verantwortung, die einen viel stärkeren Sog ausüben können, solange wir nicht alles Menschliche in uns abgetötet haben!“, sagt Nava Ebrahimi in ihrer traurigglücklichen Rede zur Eröffnung der Bachmann-Preis-Tage, die ich mir hier angehört habe. Wie schön das wäre.
Setzen wir unsere Vorstellungskraft ein gegen die Erzählung, dass uns nur noch Waffen, Dominanz und am Ende der private Exit zu retten in der Lage sind. (Nava Ebrahimi)
Im Augenhaus das Meer. Ich weiß nicht, warum ich so etwas schreibe, oder was es bedeutet. Es klingt einfach so, als wäre es in irgendeiner Weise bedeutsam. Das Wort Augenhaus bringt mir die Welle X und mundet mir irgendwie. However. Das Meer ist eh ein beschriebenes Blatt. Auf dem Meerblatt steht eine Geschichte. Ein etwa 12jähriger Junge der mich (ohne Scheu) auf dem Weg vom Hotel zum Supermarkt anspricht. Auf Englisch mit griechischem Akzent. Er trägt ein kürbisfarbenes Shirt, und sein Lächeln sieht wie ein weißer Dampfer aus. Er habe a skeleton of a turtle gefunden. Und während alle anderen, Touristen und seine Familie disgusted waren, disgusted, er lacht jedem disgusted hinterher, würde er, das Skelett holen. Nachdem ich den Jungen bis zur Fundstelle mit den Augen verfolge, sehe, wie er etwas in eine Tüte hievt verschindet er hinter Klippen. Ich recherchiere, notiere, was mir besonders gefiel an dem Kind, an dem wie er mich ansprach. Und lege es wieder weg. Abschalten hat oft zur Folge, dass unbemerkt Antennen ausfahren. Jetzt könntest du das Arbeit nennen. Ich unterscheide:
Was ich hier nicht mache: An meinen Kinderbuchprojekten arbeiten, zu denen es Deadlines gibt. Letztes Jahr musste ich so etwas in Griechenland fertigmachen. Das hat mich tatsächlich belastet. Diesmal hab ich alles fertig bekommen. Die Geschichte, aber, die da auf mich zuflüstert, belastet mich nicht. Ich notiere alles in Telegrammen und lege es dann in meine Tasche.
Am Tag 4 vibriert das Meer in unzähligen Fältchen, es heißt Bachr auf Arabisch. Vielleicht liegt es an der Verwandtschaft von Falten und Faltern, dass mich Ideen am Strand anfaltern. Während ich auf einer Bank liege und die Geschichte von Mascha Kaléko lese, - Übrigens lese ich das Buch von Charlotte Roche über sie wirklich sehr gern.- muss ich immer wieder mein kleines Notizbuch aus der Tasche nehmen, um etwas zu notieren, was absolut nichts mit dem Buch zu tun hat. Ich weiß nicht genau, ob der Inhalt des Buchs mich inspiriert, oder die Falter aus dem Meeresrunzeln mich beharrlich auffordern, etwas festzuhalten.
„Du musst doch auch mal abschalten!“, würde meine Mutter vielleicht sagen. Aber warum sollte ich die Falter vorbeifaltern lassen? Nein, es ist ein Vergnügen, etwas zu notieren, ohne genau zu wissen wofür, und es gehört zu mir. Und es ist nun mal so, dass Arbeit und Leben bei Künstler*innen nicht immer zu trennen sind.
Das hat der Hausacher Dichter José Oliver mal in einem Interview gesagt. Er schreibe immer. Auch wenn er spazieren geht, schreibe er im Kopf. Ich glaube, bei mir ist es fast genauso. Judith Peters hat mal irgendwann gesagt, dass sie auch im Urlaub bloggt. Weil das Bloggen so sehr zu ihr gehört. Auch ich liebe das Bloggen. Zwischen Schwimmeinheiten, Kafenio, Lektüren sitz ich tatsächlich auch gern am Compi. Dieser Blogartikel ist aus Notaten aus den Morgenseiten zusammengesetzt, jeden Morgen am Strand mit Kaffee, welch ein Luxus, welch ein Privileg!!!
Das schattengrüne Meer ist heute, am Tag 5, vielleicht Kim Hyesoons "Gespenst der Poesie", das der Sprache vorausgeht. Kuh mit Hut steht am Strand. Auf meinem faltergroßen Zeh landet ein Falter. Zikadenladen im Ohr, Wespe an der Nektarine, fliegende Ameisen im Sand. Mir fällt mein erstes Kinderbuch ein, dass ich auf Kreta geschrieben habe, umgeben von Insektenvielfalt. Tatsächlich ist diese in die Geschichte geflattert, gekrabbelt, gesummt und gefaltert. In Nuri und der Geschichtenteppich gibt es eine Königin Libelle, die über das Königreich der Insekten regierte. Ich schrieb es 2004 in den Schulferien, ich war zu der Zeit noch Grundschullehrerin. Damals hätte niemand gemahnt, dass ich „doch bitte mal abschalten“ solle.
Übrigens 1: Schreiben in den Schul-Ferien. Meine Zeit als schreibende Grundschullehrerin
12 Jahre lang arbeitete ich als Grundschullehrerin und nutzte die Freizeit und vor allem die Ferien zum Schreiben. Allerdings zunächst ohne Veröffentlichungsabsichten. Nach den Ferien umarmte mich die Konrektorin üblicherweise mit den Worten: "Na wieder mal ein Buch geschrieben?" Ich glaube, damals hielten alle, mich eingeschlossen, das Schreiben für mein Hobby. Als mein erstes Kinderbuch dann tatsächlich erschien, war ich immer noch Lehrerin. Und die Sommerferienhobbyschriftstellerin. Seit 2007 bin ich berufliche Kinderbuchautorin. Zwischendurch war ich mal unterrichtende Kinderbuchautorin an einer bilingualen Privatschule in Köln. Mit fatalen Folgen. Hier gehts zum Blogartikel.
(Nuri und der Geschichtenteppich erhielt in Deutschland aber nur Absagen. Die Briefform erschlösse, sich den Kindern sich nicht. Dann entdeckte ich einen Wettbewerb der „Bonner Buchmesse Migration“. Ich gewann ersten Preis und probierte es erneut. Absagen, Absagen. Schließlich lernte ich in den Sommerferien 2005 auf Kreta Annette von Bodecker kennen, die begeistert war, sofort Probeillustrationen machte und die Kühnheit besaß, sie ohne Termin dem Picus Verlag Wien auf der Frankfurter Buchmesse auf den Tisch zu legen. Die zeigten sich zurückhaltend interessiert. Kamen aber am Ende des Jahres mit einem Vertrag. Das Buch wurde sofort für den Österreichischen Kinder- und Jugendbuchpreis 2007 nominiert.)
Am späten Nachmittag der zweiten Woche kommt die Milchstraße vom Himmel und legt sich aufs Meer um Korfu. Diese Sternmassen kannst du nicht fotografieren. Nur so ungefähr. Mache Fotos mit dem Handy und checke schnell meine Mails, während wir auf Essen warten. Abschalten ist ein Privileg derjenigen, die eine feste Stelle haben und keine dienstlichen Mails im Urlaub lesen müssen. Kinderbuchautorinnen (u.a. Freiberufler*innen und Selbstständige) können nie 100 Prozent weg sein. Ich schau also kurz rein, wie alle drei Tage. Auf manches muss ich reagieren. Auf manches möchte ich reagieren. Vieles kann warten. Und diesmal ist es krass: Mich erreicht eine sehr froheste Botschaft. Milchstraßenglitzermail. Ich freu mich, dass ein Vertrag mit einem großen Verlag ganz ganz nah ist. Ich muss antworten, dass mir alles gut passt und dass ich mich sehr freue.
Übrigens 2: Schalte doch mal von Rassismus ab!
Viele Ferienorte sind Orte von Rassismus und Diskriminierung. Da ich aussehe wie eine Griechin, kann ich mich hier relativ frei bewegen. Das ist aber schon an der Nordsee anders. Wenn du ohne Vorbehalte (nach Sylt oder an die Ostsee oder sonstwohin) reisen kannst, bist du privilegiert und vermutlich weiß. Meine Kollegin, die Aktivistin und Kinderbuchautorin Tayo Awosusi-Onutor hat ihre Erfahrungen als reisende Schwarze Frau mit Schwarzen Kindern in einem Posting auf Instagram (26.6.2025) zusammengefasst. "Reisen wird global als weißer Raum dargestellt!", schreibt sie und verweist auf Portale, in denen BIPoC sich über Safer Spaces und No-Go-Areas erkundigen können.
Meine Privilegien diesbezüglich: Ich habe einen deutschen Pass und kann überall hinreisen. Und ich hab wieder Geld genug in diesem Jahr.
Übrigens 3: Schalte doch mal von der Weltlage ab!
Auch das Abschalten von der politischen Weltlage ist ein Privileg. Es ist in der Regel weißen deutsch-deutschen Menschen vorenthalten. Als deutsche arabisch-stämmige Kinderbuchautorin of Color bin ich sowohl von den Vorgängen in Nahost besorgt als auch von den aktuellen deutschen Diskursen. Davon ist nicht leicht abschalten. Ich muss außerdem auch hier immer wieder zB an Family und Friends denken, die von Krieg betroffen sind. Oder an Kinder denken, die mit Angst und Krieg groß werden.
Runzelionen des Meeres. Kraft sammeln. Das schwere Meer kommt näher und lädt mich ein, schwerelos zu werden. Und mir Schimmerdinge einzuverleiben und zu speichern. Ein Großbuchstabe will an meinem Stift knabbern. Klein ist er wie eine Motte, und er weiß nicht wie er heißt. Vergnüglicht schwingt mein Herz mit jeden Einfall. Ein rotes Boot mit einem Stoffdach lädt ab und zu alle Teile meiner Welt auf sich und zischt ab. Temporaritäten. Ich schreibe zwischen zwei Runden Schwimmen, nach einem Cappucino mit Oatmilk, einem Spinatkuchen, und vielen tausend Sekunden voller Schimmerdinge. Mein großer Luxus, mein Privileg, 14 Tage im Jahr am Meer zu sein. Freude Flitter Falter. Und alles andere gleichzeitig.
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