Von Habibti bis Reisehaut - Tagebuch, Wochenbuch
Meine Woche mit einer Lesereise durch die Ostschweiz, fehlender Schreibruhe, Verbundenheit, einer Frage, die alles bedeutet, kratziger Stimme, Begleitung durch POET X, Luftfiguren und meinem Geburtstag.
Dienstag, der 30.4.24 (früh)
Lesereise Ostschweiz. Früh, sehr früh geht’s raus hier. Schon vor 7 auf den Zug. Hektisches Brote schmieren und runterschütten einer Tasse Kaffee ist angesagt, weil das Frühstück im Hotel erst so spät serviert wird. Und das Brot nie pünktlich kommt. Die Sonne legt ihre heiße Hand auf meinen Rücken. No Morning Pages. Nur kurzes Notat. (Tagebuch) Denn „Auch Worte brauchen eine Hebamme, eine Ruhe, aus der heraus die Sätze frei entstehen können, …“, (Marica Bodrožić). So eine Schreibruhe. Ruhetruhe. Die ich hier noch nicht finde.
Mittwoch, der 1.5.2024 Lesereise Sankt Gallen (Habibti)
„Sind sie Synchronsprecherin?“, fragt mich gestern ein Sechstklässler nach der Lesung. „Nein, warum?“, frage ich zurück. „Weil Sie so gut vorgelesen haben!“, sagt das Kind und ich freue mich natürlich sehr über das Feedback in diesem Schulhaus, in dem die erste Lesung mit Autorin überhaupt stattgefunden hat. Mein Begleiter ist erstaunt und begeistert, ich sei „so entspannt gewesen“ und welche „Ruhe sich dadurch ausbreiten konnte“. Ok, es ist das erste Mal, dass ich höre, ich wirke entspannt. Aber es stimmt, ich bin es auf der Bühne und lasse mich vom Dialog mit den Kids und Leseteilen hin und her wehen. Sechs albanisch-stämmige Mädchen fragen mich nach der Lesung das, was sie schon die ganze Zeit brennend interessierte: „Bist du Moslem?“ Wir kommen ins Gespräch, ich erkläre ihnen, dass ich muslim-rooted bin, also „muslimstämmig“. Dass ich mit zwei Religionen aufgewachsen bin, aber christlich geprägt bin, dass mir der christlich-muslimisch-jüdische Dialog wichtig ist und nichts anderes gegen Feindseligkeiten hilft. Und dass ich weiß, dass im Moment viel Negatives über Muslime gesprochen wird. Und dass ich das unmöglich finde. Aufgeregt nickend erzählen sie mir, was sie alles an Zuschreibungen und Verletzendem hören. Im Gästebuch finde ich später „Wallah habibti“ und mehrere „Wallahs!“
Donnerstag, der 2.5.2024 (Stimme)
Mir kratzt der Hals, der Kopf pocht und die Stimme ist wie Reibeisen. „Ab da war alles wie in Großbuchstaben!“, schreibt Elisabeth Acevedo in „POET X“, und ich frage mich, ob bei mir nun alles wie in Kleinbuchstaben ist. Auf der Lesereise ist Erkältung ein Super-GAU. Ich lutsche Lettern und Halspillen, schlucke Paracetamol, trinke Tee, bleibe im Hotelzimmer, während die Kolleg*innen Ausflüge machen, und hoffe, die 6 verbleibenden Lesungen so noch überstehen zu können.
Freitag, der 3.5.2024 (wertvoll)
In meinem Kopf sind so Luftfiguren, mit denen rede ich, und die helfen mir, Probleme zu lösen, sagt eine Schülerin heute. Ich lese aus „Sterne im Kopf und ein unendlicher Plan“. Lama, die Heldin, beschreibt ihr Denken dort als „Kopftopf, in dem Gedanken kochen“. Ich rede auch mit den Luftfiguren, und dann weiß sie irgendwann, was ich tun muss, so die Schülerin, etwa 11 Jahre alt. Ich schreibe begeistert mit. Hinterher erfahre ich, dass die Schülerin künstlerisch hochbegabt ist. Sprachlich wohl auch. Nach Arne Rautenberg, -„In einem Gedicht wird etwas Besonderes auf besondere Weise gesagt oder zumindest aufgeschrieben“,- zeige ich ihr, wie sie ein Gedicht aus ihrer Rede machen könnte:
LUFTFIGUREN
In meinem Kopf
Helfen mir
Probleme
zu lösen
All diese Dinge passieren an meinem Autogrammtisch, auch dass Kinder in mein Gästebuch schreiben:
Wörter sind
WERTVOLL
Samstag, der 4.5.24 (Reisehaut)
Wieder zu Hause muss erst mal die Reisehaut abfallen. Unbeschreiblicher Zustand nach 14 Lesungen und langen Zugreisen. Jede Haut-Zelle kleines Gewicht. Im Zug dachte ich die ganze Zeit an die Alle-Kinder-Bibel 2. Ich kann es immer noch nicht fassen. Die erste Fassung (Fallung wollte ich grad schreiben) ist seit einer Woche fertig und abgegeben. Wie sehr sie mir Geländer war. Finanziell und mental. Wortgeländer. Geldgeländer. Herzgeländer. Am Schluss Gedichte. Im Juni mache ich die Sprachtabelle mit Support von vielen tollen Leuten. Und im Juli werde ich die Bibel nach Vorschriften überarbeiten. An jedem freien Tag. Und die Alle-Kinder-Bibel 1 ist in der sechsten Auflage.
Sonntag, der 5.5.24 (Koffer)
Bin immer noch ein noch nicht ausgepackter Koffer. So Reisezeiten halten lang, sehr lang an. Schlafgesang überall, schimmering, hellgelb. Ein Stäubchen Schaf im Schlaf gefunden, Augenfelle noch nicht abgelegt. Taghaut. Taghaus. Und nun: Geburtstag. Da helfen nur noch Geheimsprachen. Oder Widerständiges in Papageientonart. Ein Lichtbüschel wächst auf meinem Arm.
(53 Fakten über mich, Funfacts, heute zur Feier des Tages HIER
lesen)
Montagsgedicht 6.5.2024 (Flocken)
Auf dem Teller
Wolkenflocken
an den Füßen
Wolkensocken
weh ich in den Tag
wie ich es mag
Mein Herz freut sich über diese Zeilen, liebe Frau Karimé! Wolkenflocken duften wie Poesieskulpturen aus meinem Kopftopf. 🦋 So schöne Bilder! Dankeschön! Maria
Wunderbare Lesefreude
Atemlos und staunend
bin ich dir
durch diese Woche gefolgt
Danke dir
Romy
So wundervoll geschrieben! Aus dem Herzen für Herzen. DANKE-SCHÖN 💖
Von Herzen
Sylvia