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"das wort ist ein geschichtenbüro" erik, 4

  • AutorenbildAndrea Karimé

ZweifeL im Schreiblife

Aktualisiert: vor 3 Tagen



Das ist das Ende: Ich schreib nie wieder ein Kinderbuch.

Der Zweifel ist ein Charakteristikum des Schreiblifes. Wenn ich etwas Neues beginne, bin ich im ersten Moment begeistert und inspiriert von einer Idee. Aber kurze Zeit später schon fängt das Zweifeln an der Qualität an. Und so etwas frage ich mich:


Was erst einmal nicht verkehrt ist. Das Zweifeln bringt uns dazu, an einem Text zu arbeiten. Passagen in Frage zu stellen, vielleicht sogar die Grundidee.

Aber manchmal begegne ich durch Zweifel einem Abgrund. Und stürze in eine Blockade. In dieser Stimmung kann ich tatsächlich nicht schreiben. "Ach das wird nie was. Was für eine blöde Idee. Wer will sowas schon lesen. Es gibt doch schon so viele Bücher. Das Lesen geht eh zurück!" ect.


Mittlerweile weiß ich, dass das vorüber geht.

Und dass wirklich jede Autor*in und Künstler*in durch solche Phasen durchmuss.

In meinem Schreiblife gibt es vor allem zwei Zweifelerscheinungen:


1. Inner critic und 2. Betrügersyndrom

Das erste ist das Übliche, das zweite ist bei mir aufgetaucht, u.a. weil ich eine Person of Color bin.


1. Inner critic – Vom Feind zum grumpy pet.


Zweifel werden durch meinen „inneren Kritiker“ ausgelöst.

Erst kürzlich hatte ich beim Schreiben der Kinderbibelgeschichten, einer Auftragsarbeit, diese Zweifelmomente. Schon nach der dritten Bibelgeschichte, die ich neu und diskriminierungssensibel fassen soll, war ich mit dem Ergebnis nicht zufrieden.


Was soll daran besonders sein? Kann das nicht jeder so schreiben? Wie konnte ich so blöd sein, diesen Auftrag anzunehmen?

Das alles sind Stimmen des sogenannten "inneren Kritikers", der wie ein Teufelchen auf meiner Schulter sitzt und auf mich eingeredet hat.




Julia Cameron gab ihrem „inner critic“ einen Namen: Nigel. Im Gespräch mit der Schriftstellerin Natalie Goldberg erzählt sie , dass sie, dass sie sich mit dem „inner critic vertraut gemacht hat, sich erst einmal die ganzen negativen Botschaften anhört, wann immer er auftaucht – meistens wenn sie den Stift auf das Blatt setzt – und dann reagiert. „Hello Nigel, thanks for sharing, but now I am gonna go on writing!”[1]

„Hello Nigel, thanks for sharing, but now I am gonna go on writing!”[1]

Love it!!!


(Nach dieser Attacke sprach ich übrigens mit einer Freundin, die ebenfalls Künstlerin ist. Sie stieß einen kurzen Lacher aus und sagte mit sehr viel Vokal: "Aaach!" Und: „Das kennen wir doch schon!“ Und sie erzählte wie oft ich das schon gehabt habe. Und wie doch meistens etwas Gutes aus der Arbeit geworden ist. Ich stutzte aufrichtig. Hatte ich ihr schon so oft von Zweifeln erzählt? Aber es stimmte natürlich. Doch immer wenn ich frisch drin stecke, kommt es mir so vor, als hätte ich das noch nie gehabt.)



Mein innerer Kritiker ist mittlerweile ein grumpy old pet, das ich gut kenne immer wieder „kamellen“ höre. Und dem ich dann antworte: Ja du hast recht, aber ich schreibe trotzdem.

2. Zweifel bei Erfolg: Impostorsyndrom

Ein Zweifel nagt eigentlich schon ganz lang an mir. Und immer wieder. Ausschließlich bei Erfolg.

Jetzt merkt jeder bald, dass ich eigentlich nicht schreiben kann.  Dass ich nur durch Glück hier gelandet bin. Und weil mein Vater von Libanese ist. 

Durch Zufall bin ich auf einen Artikel von Dilek Güngör in der Zeit gestoßen.




Ich bin eh ein Fan ihrer Bücher, aber hier fand ich etwas, was mir dieses merkwürdige Phänomen bei Erfolg erklärte. Und bemerkte, dass ich schon mein Leben lang damit zu tun hatte.


„Zugezogen, eingebürgert, aufgestiegen. Manche Menschen müssen sich alles erarbeiten. Wenn sich Erfolg einstellt, zweifeln sie an sich: Das ist das Hochstapler-Syndrom.“, schreibt

Danke, danke, danke!!!!Impostor-Syndrom aka Betrügersyndrom aka Hochstaplersyndrom. Tritt auf bei Erfolgen. Ach so ist das. Das hier ist ebenso Teil meines inneren Impostor-Monologs:


Ich kann nicht schreiben und jetzt kommt es raus. Was meinte die Kinderbuch-Kollegin? „Mit Migrationshintergrund kriegt man eh alle Stipendien!“

(Also Papa Araber, Herkunft: arm, das soll die Mixtur für Erfolg sein? Lachhaft. Normalerweise bist du so potentielles Opfer von Racial profiling.)




„Wenn mir etwas gelingt, dann muss Glück im Spiel gewesen sein, auch diesen Gedanken finde ich in den Studien über das Impostor-Syndrom. Die Eins für meine Diplomarbeit gab es wahrscheinlich nur, weil mich mein Professor mochte. Mein erster Roman hat sich gut verkauft, aber schön, türkische Familie, Integration – ist halt Dauerthema und in irgendeiner Gemeinde ist immer gerade interkulturelle Woche. Ich warte immer noch auf den Moment, in dem alles auffliegt. Es ist vermutlich nur eine Frage der Zeit, bis einer kommt, gründlich schaut und dann nur Durchschnittlichkeit findet.“ schreibt Dilek Güngör im erwähnten Artikel.


Und da finde ich mich wieder. Ich könnte auch so eine Aufzählung starten.


Ich muss an mein Gymnasium denken und an meinen Deutschlehrer.

Damals waren die Sprachen, die mich zuhause umgaben, die Wörter stammten waren u.a. Arabisch, Nordhessisch und restringierter Code, Sprechweise der Unterschicht, die für mangelnden Schulerfolg verantwortlich gemacht wurde, lese ich bei Wikipedia. Der elaborierteste Deutsch hörte ich von meinem libanesischen Vater, wenn er mal zuhause war. Bei uns gab es nur das Nötigste, wir hatte 3 Bücher und von Musikunterricht beispielsweise träumte ich nur. Das Gefühl immer am falschen Platz zu sein mit meinen Interessen begleitet mich ein Leben lang.

Ich hatte aber Spaß am Schreiben und saugte den die Bücher der Stadtbibliothek auf wie frische Luft. Zuhause verstand das niemand. Und in der Schule war es auch nicht recht.



Sprachlich mangelhaft. Zu viele umgangssprachliche Wendungen Restringiert. Das war das vernichtende Urteil meines Deutschlehrers auf diesen und andere Aufsätze. (Ich schrieb mit 11, wie mir der nordhessische Schnabel gewachsen war.) Und : Musst noch ein bisschen besser Deutsch lernen. Deutsch ist meine Muttersprache.


Und wie ich heute weiß– heilsamerweise,- wurde ich u.a. durch diesen Lehrer immer wieder Opfer intersektionaler Diskriminierung.[2]


Bis heute kommt das Betrügergefühl - eigentlich durch Glück, Zufall und Betrug das Abitur bekommen zu haben, das erste Staatsexamen, den Österreichischen Kinderbuchpreis und und und – immer wieder leicht auf. Aber seit ich dies weiß:



„Das Impostor-Syndrom setzt all diese Zweifel in greifbare Kontexte! . Der amerikanische Bildungsforscher Kevin O. Cokley von der University of Texas hat kürzlich in einer Studie beschrieben, dass das Phänomen vor allem afroamerikanischen Studenten, people of color und Angehörigen von Minderheiten zu schaffen macht. Cokley und seine Kollegen sehen einen klaren Zusammenhang zwischen der Wahrnehmung von Diskriminierung und dem Gefühl der Hochstapelei. Wer ohnehin schon wenig Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten hat, leidet stärker unter Angstzuständen und Depressionen, die durch Diskriminierung ausgelöst wurden, und traut sich weniger zu. Psychologen raten Menschen, denen es so geht, ihr "Geheimnis" öffentlich zu machen. Und tatsächlich ist das Verstehen der Zusammenhänge ungemein erleichternd und verschafft Klarheit." (Güngör ebda)

Und weil mittlerweile viel Persons of Color kenne, denen es ähnlich erging, kann ich das einordnen und es zieht mich nicht mehr runter.

Und langsam (ok sehr langsam und gegen viel Widerstand) verändert sich meine Berufsgruppe, und Menschen mit ähnlichen Lebenserfahrungen kommen hinzu.


"Und ich weiß auch: Der Bluff wird nicht auffliegen, weil es ja keinen gibt." (Güngör ebenda)



Tipps

 Wenn du langanhaltende Zweifel hast, obwohl du schon Erfolge vorweisen kannst
1. Sprich drüber mit befreundeten Künstler*innen
2. Wisse: Auch dies geht vorüber!
3. Weiterarbeiten, erlaube dir schlecht zu arbeiten. Du kannst doch eh alles überarbeiten.
4. Morgenseiten schreiben https://schreibenwirkt.de/morgenseiten/ 
5. In Julia Camerons Buch „Der Weg des Künstlers“ insbesondere die Kapitel über „Innere Kritiker“ und „giftige Spielkameraden“ immer wieder lesen.
6. Lies‘ über Diskriminierung und Impostor-Syndrom falls du nicht zu der Mehrheit der Autor*innen gehörst, die aus einem weißen behüteten bürgerlichen Haushalt stammen.  ( "Why we matter" von Emilia Roig ist besonders gut und auf Spotify als kostenloses Hörbuch vorhanden.)

Ach, übrigens, nächstes Jahr erscheint die antirassistische Kinderbibel, ein Bilderbuch beim Nilpferd Verlag und ein Essaybuch über Biografie Fantasie Sprachen im Konkursbuchverlag. Aber das waren dann wirklich die letzten.



[1] Aus: Julia Cameron, Natalie Goldberg: A conversation on the writing life. Audiobook. Sounds true inc. edition 2005 [2] Intersektional beschreibt die Gleichzeitigkeit und Überschneidung verschiedener Diskriminierungsformen. https://de.wikipedia.org/wiki/Intersektionalit%C3%A4t

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