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"das wort ist ein geschichtenbüro" erik, 4

  • AutorenbildAndrea Karimé

Lesungen mit Kindern, die sich in mehreren Kulturen auskennen

Aktualisiert: 22. Okt. 2023

Was mir Lesungen mit Kindern bedeuten, die sich in mehreren Kulturen auskennen, und wie es kommt, dass sich Kinder so öffnen, beschreibe ich im folgenden Text.


Zunächst einmal: Ich fühle mich grundsätzlich mit allen Kindern verbunden! Fantasie und Poesie sind unsere Gemeinsamkeiten. Und ich liebe Kinder!

Wenn Kinder sich darüber hinaus in mehreren Kulturen auskennen, sehe ich in Spiegel, vermutlich ist es auch umgekehrt. In diesen Tagen aber passiert besonders Wunderbares. Die Verbundenheit und Berührtheit hat etwas Tröstliches für mich. Zumindest für den Moment. Für die Stunde. Für den Tag.


Vielleicht wundert dich die Formulierung: Kinder, die sich in mehreren Kulturen auskennen. Ich wähle sie, weil ich hier ein ein Potenzial hinweisen möchte, welches oft unerkannt bleibt. Es handelt sich ja explizit um eine Kunde, ein Wissen, eine Kinderstärke, eine empathische Fähigkeit dieser Kinder.

1.

Kinder fragen mich, auf Grund der Themen meiner Bücher, immer: „Wo kommst du her!“ Ich sage: “Aus Deutschland. Aber es gehören zwei Länder zu mir! Deutschland und der Libanon.“

Die Kinder sind dann in der Regel erst irritiert, aber dann probieren sie die Formulierung aus. Und ich habe immer den Eindruck, dass sie ihnen sehr gut gefällt.


Gestern fragte ein 11jähriger Junge ganz unsicher – Zuhause spricht er Türkisch, hört aber auch Arabisch, in der Schule spricht er Deutsch-: „Ich weiß nicht, ob Deutschland auch zu mir gehören kann! Wissen Sie das?“ Das tat weh.

Ich antwortete: „Natürlich geht das. Dein Herz sagt dir ganz genau Bescheid, ob Deutschland zu dir gehört!“

Sein Nachbar antwortete: „Ich glaube schon!“

Der Junge lächelte und dachte weiter nach.

Das war ein besonderer Moment auch für mich. Schmerz und Freude zugleich. Auch die Verbundenheit mit dem Jungen. Wie wunderbar in diesen Zeiten. Ich kenn diese Fragestellung ja zu gut. Gerade aus dem Alter … Ich wusste immer, ich bin nicht richtig Deutsch. Niemand hat mir gesagt, dass alles zusammengehören darf. Und auch eine deutsche Identität ist.

Für einen kurzen Moment, ich weiß nicht, wie lang er dauern wird, fühlte sich der Junge mit allem was er mitbrachte wertgeschätzt.


Ich mit 11. in ähnlichen Struggles.

2.

Nach der Lesung kamen noch zwei Mädchen vorbei. Die eine präsentierte und demonstrierte mir ihr ganzes Wissen über Wort- und Ausprache-Unterschiede in kroatischer und serbischer Sprache.

„ljepo bijelo mlijeko und прелепо бело млеко. Beides heißt schöne weiße Milch. Das ist wie ein Dialekt“, sagte sie - sehr stolz- und dass sie Ihre Eltern sogar zwei verschiedenen Religionen angehören.
Auch da war wieder diese besondere Verbundenheit.

Diese Szene, ich erlebe so etwas sehr oft, zeigt auch auch die großen ungenutzten Kompetenzen der Kids, die sich in zwei Kulturen und Sprachen auskennen. Und mühelos von der einen zur anderen switchen. Empathie haben, da das für sie Normalität ist.

Diese Lesung war in Weissach für Klasse 4 und 5. Benutztes Buch: Tee mit Onkel Mustafa. Anwesende Sprachen 11, inklusive Deutsch. Und das ist noch wenig im Vergleich zu meinen Lesungen.

3.

Wie kommt es aber nun zu dieser Offenheit der Kinder?

Ich denke einmal macht meine Dilltasche sehr viel. Eine Handtasche, Erbstück von meiner Oma, in der ich Wörter sammle, die mir Kinder schenken. Ich streue mit ihrer Hilfe immer Brocken aus vielen Sprachen in die Lesungen: Farsi, Türkisch, Arabisch, Polnisch, Russisch, Ukrainisch, Albanisch, Hebräisch, Kurdisch, Spanisch, Italienisch, Griechisch. Das hat direkt mit meinen Büchern zu tun, in denen meine Held*in in der Regel mehrsprachig ist. Ich nehme dann auch neue Sprachen auf. Gestern zum Beispiel: Bulgarisch und Rumänisch. Kisuaheli und Amazigh.


(Illu: Saliha Soylu)


Ich habe natürlich nicht alles gelernt, in der Schule nur Englisch Französisch und Russisch. Aber ich hab tatsächlich in viele Sprachen ein bisschen genauer reingeschaut: Als Studierende habe ich einen Grundkurs Italienisch in Kalabrien absolviert, als "Galata-Stipendiatin" hab ich Türkisch in istanbul angefangen und in Kairo 2007/08 Arabisch und Ägyptisch nachgeholt. Alles andere Einzelstücke, gesammelt. Aus der Arbeit mit Kindern. Die Kinder bringen es mir, oder ich schau nach und bringe es zu den Kindern, lasse mir die Aussprache erklären.


So füllt sich meine Dilltasche. Immer weiter wachsend. Mir ist klar, dass das nicht jede*r so umsetzen kann. Ich konnte schon immer gut nachahmen, als Kind habe ich viele Sprachen und Laute gehört. Aussprache fremder Wörter ist für mich in der Regel kein Problem.

Aber versuchen kann es jede*r


Aber natürlich sind auch die Themen und Held*innen meiner Bücher, die ich mitbringe Türöffner für Kinder, die sich in mehreren Kulturen auskennen. Insbesondere in "Tee mit Onkel Mustafa", "Nuri und der Geschichtenteppich", "Sterne im Kopf", "Antennenkind" und "Planetenspatzen", aber auch in einigen anderen erzähle ich diese mehrsprachige und interkulturelle Kompetenz von Kindern. Diese Held*innen sind dann Figuren in meinen Abenteuergeschichten oder Geheimnisgeschichten. Mal ist die Mehrsprachigkeit nebenbei. Mal wichtig in der Handlung. Beides geht. Alle meine Bücher findet ihr hier in einer Übersicht : https://andreakarime.de/126-Kinderbuecher




Und die anderen Kinder? Die deutsch-deutschen? Kennen sich entweder auch schon aus, weil sie Freund*innen haben, bei denen es nicht nur das eine gibt, in der Regel ist das für sie eh Normalität, oder sie sind voller Staunen und Anerkennung. Und das ist ja sooo wichtig. Und da meine Lesungen ja für alle spannend sind, es geht oft um Freundschaft, um Tiere um Sprachspiel, ist das einfach für jede*n bereichernd. Grad jetzt, wo auch in Deutschland die Feindseligkeit gegenüber denen wieder steigt, die als "anders" gesehen werden, sind es genau diese Momente, die mich trösten.



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