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"das wort ist ein geschichtenbüro" erik, 4

  • AutorenbildAndrea Karimé

"Ich wünsch mir kein Krieg"- tagebuchstaben 16

Aktualisiert: 24. Apr.

tagebuchstaben 16 von schriftohr bis mut

Meine Woche diesmal mit Hülle und Fülle, einem Worthund, Inspirationen von Lena Gorelik und Gertrude Stein, einer zur Friedens-Stadt gewordenen Schreibwerkstatt, viel Mut und einer Klopapierfee.

Der Frühling kommt, ich fasse es nicht.

Dienstag, der 2.4.24 (Schriftohr)

Es regnet in Flüssen und aus Schüsseln. Es regnet Bleistifte aus Regenrüsseln auf den Hund namens „Love“ von Gertrude Stein. Es regnet Hunde namens Love: „Love sagte nie ob er gern träumte, oder nicht, aber er träumte und wenn er träumte, dann bellte er.“ Vermutlich würde Gertrude Stein gefallen, dass Love wie Laf klingt, einem türkischen Wort für Wort, und das der „Liebehund“ auch ein „Worthund“ ist. Sowas tippe ich wenn es regnet. Und ich bereite das Uni-Seminar „Autobiografisch Schreiben“ vor. Stoße wieder mal auf die wunderbarste Lena Gorelik. „Ich schreibe, weil ich, glaube ich, bin“, so beginnt ihre Poetikvorlesung, und mit Schreiben und Zweifeln, die es glücklicherweise bald gedruckt gibt. Warum schreibe ich eigentlich? Der Text ist ein Ort, in einer ortlosen Zeit. Ok das haben wir schon gehört. Das Schreiben ist ein Ohr, das zuhört. Stiftohr, Schriftohr. Das Schreiben ist magisches Tool. Ich tauche – nicht immer- erfrischt aus einem geschrieben Text aus. Manchmal zieht mich die Schriftschnur aus der Verschwundenheit. Und  lässt mich Perlen finden, im Namenlosland. Nur was ist es, was wird es. Wieder weiß ich nicht was das ist: Kindergedicht? Für Erwachsne? Nochmal Lena Gorelik. „So wie alles, was ich schreibe, ein Text ist, und es andere sind, die eine Gattung darüber legen“.

 

Mittwoch, der 3.4. (Kids)

Die Tage sind bis in die letzte Sekunde gefüllt. Morgens Schreibwerkstatt mit Kids von 9-12. (Ein bezaubernder poetischer Achtjähriger hat sich reingeschmuggelt. Alles so nette Kinder)) Nachmittags Kampf mit dem Warten und der Deutschen Bahn. Zwischendurch Vorbereiten der nächsten Sitzung.- Der Workshop geht bis Samstag.- Dann bis abends Leseproben vorbereiten für Bologna. Das aber ist heute zu Ende.  Ich bespreche mit den Kids meine Leseproben.  Auch das ist Teil meines Workshops. Und meine Rückenschmerzen muss ich mich auch kümmern. Übungen und Gym gestern Abend.

 

Donnerstag, der 4.4.24 (Herz)

Meine Gedanken sind wie Ameisen, schreibt P., 11 und auch auf ihrem Tisch beim Arbeiten wuseln Gedanken- (klebezettel), Ausgeschnittenes und Stifte. Sie hat schon letztes Jahr an meinem Workshop teilgenommen. Diesmal begrüßte sie mich mit einem Wort: Regenbogenregen. Sie schreibt, wie Wasser aus dem Hahn fließt. Zwischendurch fragt sie: Hast du ein Wort für mich. Ich sage: Kusch. Sie: Das ist gut. Und schreibt weiter.

Heute lesen wir Simone Scharberts Gedicht „wünsche mir Menschen wie Rehe“. Ich kam darauf, weil E., 10 gestern schrieb: Ich wünsche mir Menschen mit größeren Herzen. Locker anschließend: Wunschgedicht. L. 12, schreibt über Menschen: "...in Wirklichkeit eine friedliche Meute/ doch die Menschen sind so nicht/ deswegen dieses Gedicht." 

Gedicht von L.,11

Freitag, der 5.4.2024 (Mut)

„Rose ging einfach immer weiter immer höher und das war gut sie hatte überall Mut“, so Gertrude Stein noch mal. Überall Mut, das gefällt mir. Im Kopf, im Herz, in den Händen und in den Füßen. Wir müssen überall Mut haben, zurzeit, wenn wir unsere Menschlichkeit nicht verlieren wollen. Und Ausdauer.

Denn die Ignoranz regiert und ist redundant und zeichenreich. Ich schreibe nur einmal meine Meinung als Antwort. Mache Copy and paste zum Wiederholen. Kopierpaste auf Zunge. 


Ich freu mich über die tollen Feedbacks

Samstag, der 6.4.24 (Fantasie)

Eine ganz besondere Schreibwerkstatt war das in Leverkusen. E., 10 schenkte mir ein neues Lieblingswort: Angouri/Gurke. Anwesende Sprachen, mehr oder weniger aktiv: Griechisch, Russisch, Italienisch, Vietnamesisch und Französisch.

„So wenig wie wir Fantasie in der Schule benutzen, brauchen wir keine Tipps“, meint L., 12, eine Schülerin heute, und das geht mir noch lange nach. Ich verstehe das nicht: Fantasie ist eine Form des Denkens. Fantasie ist eine Kinderkompetenz. Und deshalb hat sie keine Lobby. Umso schöner, dass in der Ferienschreibwerkstatt die Fantasie genutzt wurde. Vom „Krafttier“ bis zum „Waschbären mit Manieren“, von der „Klopapierfee“ bis zum „Schokoladensee“, von der „Zauberschildkröte“ bis zu „Schwamm, Selam“, von "Waschbär-Air" bis wurde eine Woche lang fabuliert, gedichtet und auf diese Weise nachgedacht. „Ich wünsche mir/ keinen Krieg“, schreibt L., 11 und fährt fort: „Ich wünsche mir/ ein friedlicher Ort/ die Welt.“ Wie sehr doch die aktuelle Weltlage in Freie Texte von Kindern hineinragt.

Herzly Resümee einer Schülerin zur Werkstattwoche: "Es gibt nichts, was nicht Spaß gemacht hat!"


Sonntag, der 7.4.24 (Blütürütüh)

„Man kann sich die Welt, aus der man herausgeschleudert wurde, wieder zurückschreiben.“ (Ofer Waldmann)

Ein Blüterütüh, ein weißgelockter Blau-Himmel über mir. Ich wünschte so sehr, Ofer Waldmann hätte recht. An manchen Tag habe ich Gewissheit. Heute habe ich mir die Welt zurückgeschrieben, die Buchstabenbeete geseelt und das Herz wieder zusammengesetzt, nachdem eine Kollegin kaltschnäuzig einen Vorschlag - in Peace für beide Seiten, Israel und Palästina, und den Dialog zu investieren.- abgewürgt hat. Die Betroffenen haben vielerorts mehr Herz übrig.



Montagsgedicht (Preview)


nun wohnt der geschichtentopf

im schönsten Zimmer in meinem Kopf

für die giraffe und ihre nichten

koch ich heut wilde geschichten


und eine aus blaukraut und drei elefanten

die ist für mutter und vater und tanten

eine aus rätsel und blauen atlanten

die ist für überhaupt alle verwandten


eine aus spielzeugkasten zauber und zeit

die ist für jede und jeden und für mich

doch diese die letzte und obergeheime

die ist aus erdbär und unfug


und nur für dich


(aus: Das schönste Zimmer in meinem Kopf. Elif Verlag)




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