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"das wort ist ein geschichtenbüro" erik, 4

  • AutorenbildAndrea Karimé

Wörterfünf. Von Kinder bis Durchreise

Aktualisiert: 17. Feb.

Tagebuchstaben 7

jeden tag ein notat. (auch das hilft durch fiesezeit.)

jeden morgen schreibe ich morgenseiten und daraus filtere ich ein notat. gedanken des tages. momente des tages ect. manchmal mit wörtern aus meinem manteltaschenbuch. manchmal mit wörtern von anderen, die ich gerade lese. manchmal nur aus den seiten des morgens.


Dienstag, der 5. Februar (Durchreise)

Transito heißt Durchreise, Transit. Und ich denke an ein Radio, ein Transistorradio. Ein Durchreiseradio. Ergo immer wieder die Frage: Bin ich in Deutschland nur auf der Durchreise? Aber sind 60 Jahre nicht zu lange für eine Durchreise? Und was für ein Programm hat ein Durchreiseradio? Ach, ein tolles Wort. Transito. Könnte auch eine besondere Frisur sein. Mit Durchreiselocken. Transito ist aber auch ein Mädchenname, zB der Name der Prostituierten, die Esteban Trueba in „Das Geisterhaus“ von Isabell Allende hilft, den Liebsten seiner Enkelin aus den Fängen der Militärfaschisten zu befreien, in deren Hände er sie durch Hass selbst gegeben hat.


Mittwoch der 6. Februar (Keun)

IRMGARD KEUN HAT HEUT GEBURTSTAG! Leider ist die Dichterin entweder noch zu unbekannt oder wird zu Unrecht lediglich als Geliebte im Suff eines angeblich viel namhafteren Dichters abgespeichert. Verdient hätte sie zumindest in Köln denselben Rang wie Böll. Wegen unkonventioneller Frauenfiguren erhielt sie 1933 Berufverbot und ihre Bücher wurden von den Nazis verbrannt. Was sie nicht daran hinderte, die "Reichsschrifttumskammer" auf Schadensersatz zu verklagen. Auch dadurch wurde es immer enger für sie und sie floh nach Belgien. 1940 hielt sie es nicht mehr aus und kehrte nach Deutschland zurück, hielt sich versteckt bis Kriegsende. Sie war eine der ersten, die unermüdlich Radiostücke schrieb, die die Aufarbeitung Nazizeit zum Thema hatten. Ihre Romane zum Beispiel "Um Mitternacht" müssen viel mehr gelesen werden. Ich empfehle sie auch, weil sie unnachahmlich humorvoll, modern, poetisch und mit sprühendem beißendem Humor geschrieben sind. 

Irmgard Keun

Donnerstag, der 8. Februar 24

"Aber in der Versammlung will ich lieber fünf Worte reden mit meinem Verstand, um auch andere zu unterweisen, als zehntausend Worte in einer Sprache“ (1. Korinther 14,19).

Jona heißt Taube. Er sprach die kürzeste Predigt aller Zeiten und im Prinzip auch die wirkungsvollste. Die FÜNFWÖRTERPREDIGT. Grad Jona. Sie ist eine der schönsten Geschichten für Kinder und auch lustige Geschichte. Jona liebt Tauben, wird von einem Wal verschluckt, will sich vor Gott verstecken und sieht, wie ein selbst eine Kuh in Ninive Buße tut.

 

Freitag, 9. Februar 24

Hab Verlagsschauen gewälzt. Wache auf und denke an das niederschmetternde Ergebnis. Nahezu 100 Prozent weiße Kinderliteratur für nahezu 50 Prozent „Migrakids“. Man stelle sich vor: Nahezu 100 Prozent männliche Stimmen für 50 Prozent Frauen?


Samstag, 10. Februar 2024

Die Morgenseiten sind derzeit voller Plotversuche mit Taxis, Kiosks, Geheimnissen und Verschwinden. Nichts Griffiges dabei. Höre Salah Naouras Staubsaugergeschichte: Virtuos. Fantasievoll. Böse und Lustig. Ein zweiter Roald Dahl.


Sonntag, der 11.Februar (Kinder)


Hast du Kinder, Frau Karimé? Kinderfrage, die häufig nach Lesungen gestellt wird. Kinder dürfen mich alles fragen. Das heißt aber nicht, dass ich alle Fragen angenehm finde.


Die Hast-Du-Kinder-Frage zieht immer eine Brise Trauriges, Schwankendes nach sich. Und dennoch stelle ich mich. Jedes Mal Die Frage nach der Vollwertigkeit als Kinderbuchautorin, also „Für-Kinder-Arbeitende“ oder „Mit-Kinder-Arbeitende“ schwebt durch den Raum und verschwindet wieder.  Die Frage hinterlässt fast immer den Blick auf Biografie, ein ganzes Leben, das hinter mir liegt, ähnlich der Frage: „Wo kommst du her!“

 

Nein, sage ich oft. Einfach nur nein. Oder: Ja, viele kreative Kinder. Oder: Ja, viele Patenkinder.

 

Ich sage nicht: Ich weiß nicht genau. Oder: Ja, aber leider nach dem vierten Monat verloren.

Ich sage nicht: "Meine deutsche Oma hat immer gesagt: Eine Frau ist auch ohne Mann und Kind eine Frau."

Ich sage nicht, wie schade ich es manchmal immer noch finde, dass mein Leben etwas anderes für mich vorhatte.

 

Fakt ist, ich hatte ein Kind, war aber nie Mutter. Das Kind ist in meinem Bauch im Monat Vier verhungert.

Fakt ist: Ich liebe Kinder, und sie mich.

„Kinder sind immer dein Kompass bei deiner Arbeit. Du kümmerst dich „viele kleine und große Menschen, deren Stimmen viel zu leise sind““, so Barbara Peveling immer wieder.

 

Für mich als Kinderbuchautorin ist es selbstverständlich, mich mit Adultismus und kritischem Erwachsensein auseinanderzusetzen und gegen intersektionale Diskriminierung von Kindern anzugehen.

 

Für mich ist es selbstverständlich, mir Frieden für alle Kinder der Welt zu wünschen. Einen Wolkenspielplatz, wie Ghassan Kanafani in seinem Gedicht „Autorennotiz“ schreibt, von dem sie wieder absteigen, wenn der Krieg vorbei ist.


Für mich ist es selbstverständlich, neben dem Blick auf die besondere Challenge von Eltern, die Kinderperspektive wahrzunehmen.


Für mich ist es shocking, dass nur vereinzelte Kinder eine Antwort auf die Frage wissen, warum Kinder für die Welt wichtig sind.


Inzwischen bin ich versöhnt damit, keine biologischen Kinder zu haben, vielleicht auch, weil ich so viele Kinder treffe, mit ihnen Kontakt habe, weil sich so viele mir anvertrauen.*

Inzwischen bin ich damit versöhnt, nie mit Kinder gelebt zu haben. Aber die Welt ist es oft nicht.


Kinder dürfen mich trotzdem weiterhin alles jederzeit fragen.

Comic: Brigit Weyhe mit Gesprächsfragmenten von Andrea Karimé, Comicsalon Erlangen 2024

Fußnötchen. Ich arbeite jetzt seit 34 Jahren ununterbrochen mit Kindern. Erst als Referendarin, dann als pädagogische Mitarbeiterin in einem Mädchentreff international, dann als Grundschullehrerin und nun als Kinderbuchautorin und Poesiepädagogin. Meine Workshops laufen unter dem Motto #machdichstarkdurchschreiben und #wasichderweltsagenwill und in meinen Kinderbüchern dichte und erzähle ich gegen Diskriminierung von (mehrsprachigen) Kids.


Montag, der 12. Februar 2024


FESTLICH(T)ER

alaaf/ a laugh/ a love

piece peace please


 

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